Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer wird dein Leichentuch

Das Meer wird dein Leichentuch

Titel: Das Meer wird dein Leichentuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Maine
Vom Netzwerk:
                            ***
     
    Die Matrosen führten mich durch die Poststation hinunter in den Bugraum des Schiffes. Der gigantische Laderaum lag tief unterhalb der Wasserlinie. In mächtigen Regalen waren hier Postpakete gestapelt, Gepäckstücke eingeräumt und die großen Überseekoffer der wohlhabenden Passagiere abgestellt. Sogar eins der neuen Automobile, ein Peugeot, wartete darauf, von den Ladekränen in New York an Land gebracht zu werden.
     
    Die Arrestzelle war eine kleine, spärlich eingerichtete Kabine und nicht viel schlechter als die Kabine, die ich in den vergangenen Tagen mit drei anderen Frauen bewohnt hatte. Es war zwar kein Ort zum Wohl fühlen, aber es hätte schlimmer sein können.
     
    Wenn nur diese Ungewissheit und diese nagende Angst nicht gewesen wäre. Der mächtige Laderaum erschien mit trotz der Beleuchtung unheimlich. Ich verzichtete, darin spazieren zu gehen und hielt mich in der Zelle auf. Die Bibel, die ich fand, spendete mir einigen Trost. Ich erinnere mich, dass ich einige der Psalmen sogar laut gebetet habe.
     
    Am Abend brachte mir ein Steward das Essen. Es kam aus der Mannschaftsküche und war etwas Anderes als die Delikatessen, mit denen ich an den anderen Abenden verwöhnt wurde. Aber es schmeckte gut und ich aß alles auf. Danach wurde ich schläfrig und legte mich auf das schmale Bett.
     
    Übergangslos schlief ich ein.
     
    Schlief ich wirklich?
     
    Damian war da.
     
    Er stand plötzlich mitten in meiner Zelle und reichte mir die Hand.
     
    „Komm, Danielle!“, sagte er leise. „Komm mit mir.“
     
    „Ist es.. ist es soweit?“, fragte ich mit bebenden Lippen.
     
    „Nein, noch nicht.“ Damian schüttelte den Kopf. „Doch heute ist der Tag, wo wir vereint sein werden. Unser Hochzeitstag. Der letzte Hauch unserer Lippen wird das Ja-Wort flüstern und die Ewigkeit selbst wird den Segen sprechen und uns vereinen.
     
    Doch bevor wir auf dem Grund des Ozeans das Brautbett besteigen und die Wellen des Atlantiks über uns hinweg gleiten, fehlt noch der Tanz. Komm, dass uns hinauf gehen, wo das Schicksal den Todgeweihten noch einige Stunden des Glücks gewährt.“
     
    Er ergriff meine Hand und ich spürte kaum, dass meine Füße den Boden betraten. Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand. Die Männer im dahinter liegenden Postbüro nahmen uns überhaupt nicht wahr.
     
    „Sie können uns nicht sehen. Niemand wird uns sehen, Danielle. Wir bewegen uns zwischen ihnen wie die Schatten der Abgeschiedenen. Wie die Geister der Toten, von denen die Lebendigen stets umgaukelt werden, ohne dass sie jemals mit menschlichen Sinnen wahrgenommen werden können.“ flüsterte mir Damian zu.
     
    Gingen wir oder schwebten wir durch das prunkvolle Treppenhaus hinauf auf das Promenaden-Deck? Eng umschlungen standen wir unter den kaltglitzernden Sternen, die auf dem schwarzen Samt-Tuch der Nacht wie Diamanten lagen. Auch die in vornehme Abendgarderobe gekleideten Passagiere der Ersten Klasse nahmen keine Notiz von uns. Sie gingen hinunter zum Speisesaal, wo alles für den Abschlussball gerichtet war.
     
    Niemand konnte sehen, wie Damian und ich uns küssten.
     
    Durch das Treppenhaus herauf erklang Musik. Wallace Hartley und seine sechs Solisten spielten zu Beginn des Abends eine Quadrille. Das Piano gab den Takt für die Streicher und die Bassgeigen. Ein Saxofon und eine Klarinette führten die Melodie.
     
    Damian und ich lauschten der Musik und sahen hinaus auf das unendliche Meer. Die See lag ruhig und nur die schäumenden Bugwellen und die Gischt, die von den Schiffsschrauben am Heck aufgewühlt wurden, störten die Ruhe des schlafenden Ozeans.
     
    Mit stockenden Worten erzählte ich Damian alles, was sich zugetragen hatte. Doch er schien es bereits zu wissen.
     
    „Noch wäre es Zeit“, sagte er traurig, als ich geendet hatte. „Noch könnten alle gerettet werden. Aber es wird wohl geschehen, was geschehen muss.“
     
    „Weißt du, wo der Blaue Diamant jetzt ist?“, wollte ich wissen.
     
    „Astor hat ihn dem Ersten Offizier gegeben, weil ihm der Safe nicht mehr sicher ist“, sagte Damian. „William Murdoch hat ihn jetzt. Und in einer Stunde beginnt sein Dienst auf der Brücke. Astor hat es dem Schicksalsstein einfach gemacht, sich einen Weg zu seiner Ruhe zu bahnen.“
     
    „Wir müssen Mister Murdoch warnen.“ stieß ich erregt hervor.
     
    „Das ist unmöglich.“ wehrte Damian ab. „Ich darf es nicht - und du kannst es

Weitere Kostenlose Bücher