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Das Meeresfeuer

Das Meeresfeuer

Titel: Das Meeresfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Unschuld
beweisen konnten und alle Anschuldigungen fallengelassen
wurden, würde man ihnen das Schiff wegnehmen. Sie hatten
sich länger als ein Jahr erfolgreich vor dem Rest der Welt versteckt, weil sie alle ganz genau gewußt hatten, was geschehen
würde, sollte die Existenz der NAUTILUS jemals bekannt
werden. Sie würden ihnen das Schiff wegnehmen, und als Mike
an diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt war, da war er
plötzlich auch gar nicht mehr so sicher, daß man sie wirklich laufenlassen würde. Dieses Schiff stellte einen unvorstellbaren
Schatz dar. Allein das Wissen um seine Existenz brachte sie alle
in Lebensgefahr. Mike glaubte zwar nicht daran, daß man sie
tatsächlich umbringen würde, aber zwischen umbringen und
freilassen lagen viele andere unerfreuliche Möglichkeiten. Eine
davon war zum Beispiel, daß sie alle den Rest ihres Lebens an
einem ungemütlichen Ort verbringen mochten – einem Ort, der
diesem hier ähnelte, mit Türen ohne Klinken und Fenstern, die
sich nicht öffnen ließen... Nachdem er zehn Minuten lang
gegrübelt hatte, war er überzeugt davon, daß es so kommen
mußte. Nach weiteren zehn Minuten war er wild entschlossen,
zu fliehen. Und nachdem abermals zehn Minuten verstrichen
waren, gab er diesen Plan zumindest für den Moment wieder
auf. Er hatte seine Kabine Zentimeter für Zentimeter
durchsucht, und das Ergebnis dieser Untersuchung war so
einfach wie deprimierend: Es gab keinen Fluchtweg. Das Brett
vor dem Fenster war mit einem Dutzend Schrauben befestigt, an
denen er sich die Hälfte seiner Fingernägel abgebrochen hatte,
ohne auch nur eine davon lockern zu können, und die Tür
bestand ebenso wie Wände, Decke und Fußboden aus massivem
Stahl, der selbst einem Kanonenschuß standgehalten hätte. Er
hatte auch versucht, mit Astaroth Kontakt aufzunehmen, aber
keine Antwort erhalten. Der Kater war auf der NAUTILUS
zurückgeblieben, und vermutlich waren sie zu weit von ihr
entfernt, um ihn telepathisch zu erreichen.
Mike war der Verzweiflung nahe. Es war nicht das erste Mal,
daß er sich in einer scheinbar ausweglosen Lage befand, aber er
hatte das ungute Gefühl, daß sie diesmal nicht nur scheinbar ausweglos war
– selbst wenn es ihm gelungen wäre, seine
Kabine irgendwie zu verlassen, so gab es draußen vor der Tür
einen Posten, und außerdem wimmelte das Schiff nur so von
Soldaten. Ein nagender Zorn auf Winterfeld machte sich in ihm
breit. Dieser Mann schien so etwas wie ein Fluch zu sein, der
sein ganzes Leben überschattete. Alles hatte mit ihm
angefangen, und nun schien es auch zumindest durch ihn zu
enden. Mike zweifelte im Grunde nicht daran, daß irgend
jemand früher oder später die LEOPOLD aufbringen und
Winterfelds Treiben ein Ende setzen würde, aber für sie war es
auf jeden Fall zu spät. Wenn auch auf gänzlich andere Weise,
als er vorgehabt hatte, so hatte Winterfeld am Ende sein Ziel
doch erreicht: ihnen die NAUTILUS wegzunehmen. Auf diese
Weise verging eine Stunde, dann eine zweite.
Mike schrak irgendwann kurz aus seinen Gedanken hoch und
stellte fest, daß sich der Boden unter ihm zu bewegen begonnen
hatte. Das Schiff hatte Fahrt aufgenommen, und nun würde es
nicht mehr lange dauern, bis sie irgendeinen englischen Hafen
erreichten. Doch es sollte anders kommen.
Mike konnte nicht sagen, wie lange er so dasaß und sich seine
Zukunft in den schwärzesten Farben ausmalte, aber plötzlich
begann sich etwas im gleichmäßigen Schaukeln des Schiffes zu
verändern, und zugleich klang das Geräusch der Maschinen
anders. Mike fuhr erschrocken hoch, als plötzlich ein schrilles
nervtötendes Geräusch durch seine Kabine gellte. Das Heulen
der Alarmsirene. Irgend etwas Unvorhergesehenes war passiert.
Mike sprang auf, rannte zur Tür und begann mit den Fäusten
gegen den Stahl zu hämmern. Aber der Lärm ging im Heulen
der Sirene unter, und selbst wenn man ihn gehört hätte, hätte
vermutlich niemand darauf reagiert. Irgend etwas Schreckliches
ging dort draußen vor, das wußte er.
Die Sirene hörte nach einer Minute auf zu gellen, aber dafür
hörte er jetzt andere, kaum weniger beunruhigende Geräusche,
die gedämpft durch den zentimeterdicken Stahl der Wände
drangen: Schreie, das immer lauter werdende Dröhnen der
Schiffsmotoren, die hastigen Schritte schwerer Stiefel und
Befehle, die gerufen wurden – und dann etwas, was ihn wie
unter einem elektrischen Schlag zusammenfahren ließ: ein
dumpfes, dreifaches Krachen, dessen Echo das ganze

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