Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
freudianische Urängste und unterdrückte sexuelle Phantasien zu wittern. Aber solche Bilder sind nicht nur harmlose Kulturabstraktionen. Nicht wenige Terrorregime erklärten die Stadt als solche zum Feind. Dschingis Khan, der multimobile Eroberer des eurasischen Kontinents, ließ die Städte zerstören, weil er nichts mit ihnen anfangen konnte. Bei ihrem Versuch, jedes urbane Element der kambodschanischen Gesellschaft »auszubrennen« und auf diese Weise zu einem dörflichen Steinzeitkommunismus zurückzufinden, brachten die Roten Khmer zwei Millionen Menschen um. Das Todesurteil lautete in vielen Fällen ganz einfach: »dekadenter Stadtbewohner«.
Das Thema, wie hoch wir bauen dürfen, ohne abzustürzen, verfolgt uns offenbar bis in die tiefsten Schichten unseres Unterbewusstseins.
In so gut wie allen Katastrophenfilmen – und es gibt ja kaum noch andere – werden zuerst oder zuletzt lustvoll die Hochhäuser demoliert. Die Bilder des 11. September haben diese Urangst wieder beflügelt. Worauf gründet sich diese seltsame apokalyptische Ambivalenz, die Angstlust gegenüber dem verdichteten Leben?
Die Stadt und die Freiheit
Lange Zeit blieb das städtische Leben eine Ausnahmeerscheinung. Städte wuchsen und vergingen auch wieder, je nachdem wo sich die Handelswege kreuzten, ein weiser Herrscher oder ökonomischer Aufschwung plötzlich Ressourcen freisetzte. Städte waren »sagenhaft« und »wundersam« und »voller Sensationen«. Und meistens weit, weit weg.
Große Städte markierten das Zentrum eines Herrschaftsbereiches, hier residierte die Macht, die das ganze Land unterwarf. Zugleich waren sie Zentren religiöser Macht, in denen die Götter Manifestationen schufen. Zu Tempel und Palast gehört jedoch, als treibende Kraft und vibrierendes Herz, der Markt. Auf dem Markt waren die Herrschaftsverhältnisse zumindest teilweise aufgelöst. Märkte bilden den Kern der Kommunikation, durch die sich die menschliche Kultur entfaltet.
Waren die Städte der Antike eher Außenposten des imperialen Zentrums, die meist auf Sklavenwirtschaft bauten, entwickelten sich im europäischen Mittelalter erstmals »freie Städte«, in denen die Bewohner über ihr Gesetz zunehmend selbst zu entscheiden begannen. Die mittelalterliche Stadt lässt zum ersten Mal einen modernen Menschentypus erscheinen: den Stadtbürger. Es entstehen vielfältige Formen des selbstständigen Gewerbes – Basis des ökonomischen Aufstiegs und der Verbreiterung politischer Rechte, aber auch Grundlage einer Erwerbskultur, die die Leibeigenschaft langsam verdrängt. Städte bekommen nun einen »Geist«, der in vielen Facetten wahrgenommen, beschrieben und gepriesen werden kann. »Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen«, schrieb Robert Musil im »Mann ohne Eigenschaften«.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts macht die einsetzende Industrialisierung die Städte zu gigantischen Bevölkerungsmagneten. Millionen von verarmten Bewohnern des ländlichen Raumes überfluten die Knotenpunkte der frühen industriellen Entwicklung auf der Suche nach Arbeit, Brot und Lebenschancen. Eine Stadt wie Wien verdoppelt ihre Einwohnerzahl von 1870 bis 1910 von 800 000 auf 1,7 Millionen Einwohner. Dieser Migrationsdruck führt zur völligen Überlastung der städtischen Strukturen. Elendsviertel und Slums wuchern, es entsteht jene Polarisierung der Klassen, die schließlich zum Versagen der Demokratie und den Katastrophen der Weltkriege beitragen sollte.
Die Stadt ist also über Jahrtausende immer so etwas wie ein großer Schmelzofen gewesen, in dem das Soziale, das Ökonomische und das Kulturelle umgeformt wurden. Die Industrialisierung fraktalisiert die Stadt in Funktionsräume und reißt die alten Quartiere der Handwerker und Händler auseinander: In einem Teil wuchern Fabrikareale, in einem anderen die Wohnquartiere, in denen die Kinderzahl wächst und die hygienischen Verhältnisse prekär sind. Die Eisenbahn verbindet nun die Metropolen, und entlang ihrer Gleise entwickeln sich Kleinstädte, Mittelstädte, Zentrumsstädte wie Perlen an der Schnur.
Doch die Stadt vermag auch, die Wunden, die ihr die Industrialisierung schlägt, erfinderisch zu heilen. Eine neue Generation von visionären Stadtplanern und Architekten verleiht den Großstädten um 1900 neuen Glanz. Das elektrische Licht erleuchtet die dunkelsten Gassen, riesige Kanalisationssysteme sorgen für mehr Hygiene, Straßenbahn und U-Bahn transportieren große Menschenmengen von und zur Arbeit, auch
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