Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
achtsam und sehe lieber einen Säbelzahntiger oder einen Dämonen zu viel als einen zu wenig. Unser Sinn für Übersinnliches ist daher sehr ausgeprägt. Der Glaube an die erlösende Hypertechnologie ist nichts als ein fernes Echo aus der Zeit der existenziellen Bedrohung, übertragen auf eine ungewisse Zukunft.
Die Grenzen der technologischen Beschleunigung
Michael Lind, ein amerikanischer Publizist und Ökonom, hält die These der Beschleunigung der technologischen Entwicklung für Unsinn. Lind nennt unser Zeitalter »The Boring Age«, das langweilige Zeitalter:
»Wir glauben gern, in einer Ära ungeheuren Wandels zu leben … in einer erregenden Epoche mit radikalen Disruptionen … Die Wahrheit ist: Wir leben in einer Periode der Stagnation. Und diese Stagnation ist gerade auf dem Feld der Technologie besonders sichtbar. Die Gadgets der Informationstechnik haben nicht
im Geringsten den transformativen Effekt wie das elektrische Licht vor einem Jahrhundert, der Kühlschrank, Gasöfen und Kanalisation. Ist die Kombination von Telefon, Bildschirm und Tastatur wirklich so bahnbrechend wie der Buchdruck oder die Schreibmaschine oder das einfache Telefon oder das Fernsehen? « 2
Betrachten wir einmal die Alltagstechnologien, die heute unser Leben bestimmen. Wenn wir ein Auto besteigen, benutzen wir eine Uralttechnik. Der Verbrennungsmotor wurde 1880 erfunden, aber es dauerte bis 1920 in den USA und 1950 in Europa, bevor daraus die Grundlage von Massenmobilität wurde. Heute arbeitet eine gigantische weltweite Autoindustrie daran, den Verbrennungsmotor effektiver zu gestalten. Durch diese (durchaus erfolgreichen) Anstrengungen werden die Versuche, alternative Antriebe wie Wasserstoff- oder Elektromotoren durchzusetzen, bisher weitgehend sabotiert – der Verbrennungsmotor zeigt dem Neuen ständig eine lange Nase. Ähnliches können wir in der Energieversorgung beobachten: Die Stromerzeugung basiert heute wie vor einem halben Jahrhundert auf Gasturbine, entwickelt 1930, und Dieselmotor, erfunden um 1890. 3
Der Technikhistoriker und Physiker Jonathan Huebner vergleicht die Geschichte der technischen Entwicklung mit einem Baum. »Es gibt den Stamm, die starken Äste der Mechanik, der modernen Wissenschaften. Aber irgendwann hat sich dieser Baum ausgewachsen. Heute sind wir dabei, die kleinen Äste auszuprägen. Vielleicht gibt es eine natürliche Grenze dessen, was Technologie leisten kann.« Huebner zieht aus der Analyse von Zigtausenden von Erfindungen und Patenten den Schluss, dass der technische Fortschritt seinen Zenit um das Jahr 1870 erreichte. 4
Wir können Technologie alternativ auch als ein gewaltiges Ökosystem betrachten, in dessen Verzweigungen, Tümpeln und Dickichten ständige Auslese und Verbesserung stattfinden. Stanislaw Lems pfiffige Formel »gegen eine Technologie hilft nur eine andere Technologie« lässt sich auf diese Weise zu einem Entschleunigungsmodell
weiterdenken: Wenn immer mehr Technologien in einer »Pfütze« (der menschlichen Kultur) sitzen, werden die komparativen Vorteile und Differenzen jeder einzelnen immer geringer. So wie in einem Dschungel irgendwann einmal alle bunten Schmetterlinge, alle Würmer und Lianen »erfunden« worden sind (und alle weiteren Mutationen nur noch Varianten sind), besteht die Zukunft der Technik vor allem in Variation und Rekombination .
Die technologische Evolution entschleunigt sich von selbst. Künftig, so eine These der neueren Innovationsforschung, 5 wird der Innovationsprozess nicht mehr durch großartige Durchbrüche, sondern vor allem durch Synthetisierung, durch Koppelung und Kreuzung bereits vorhandener Erkenntnisse und Erfahrungen gesteuert. Wir sind an den Grenzen der physikalischen Welt angelangt, auch wenn wir dies nicht gerne wahrhaben wollen. Der Innovationsprozess hört nicht auf, verändert aber sein Wesen, seine Richtung, seinen Schwung.
Gesteuert wird Innovation in Zukunft nicht mehr von dem, »was plötzlich möglich wird«, sondern von Fragen der Nutzung. Im Innovationsprozess selbst kommt es immer weniger darauf an, wer das teuerste Labor hat, sondern wo Offenheit und Varianz herrschen. Innovation wird ein kommunikativer Prozess. Sie findet nicht dort statt, wo man die kühnsten Thesen aufstellt, sondern wo die klügsten Fragen gestellt werden.
Jaron Lanier, einer der Pioniere des Cyberspace, weist darauf hin, dass selbst in der Computerwelt sich keineswegs alles beschleunigt. »Die Entwicklung von Software verlangsamt sich
Weitere Kostenlose Bücher