Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
zehn Jahren mit abgespeckten Konsumgütern westlicher Prägung. Mittlerweise haben die Konsumgüterindustrien der Schwellenländer eigenständig Produkte auf die Märkte gebracht, die preiswert, einfach und robust sind. Das bekannteste Beispiel ist der NANO, das 1600-Euro-Auto des indischen Autobauers Tata, das heute noch Produktions- und Marktschwierigkeiten hat, aber als Prototyp für ein echtes »Weltauto« dienen kann. Godrej & Boyce Manufacturing, eine der ältesten Industriefirmen Indiens, entwickelte einen Kühlschrank für 70 Dollar, der auch bei Stromausfall lange durchhält – den »Little Cool«. »First Energy«, ein indisches Startup, hat einen preiswerten und einfachen Holzofen auf den Markt gebracht. Anurag Gupta, ein Entrepreneur im Bereich der Telekommunikation, vereinfachte ein Smartphone und einen Fingerabdrucksscanner für Bankautomaten in armen Regionen. 14
Nach dem vor einigen Jahren gestorbenen indischen Ökonomen C. K. Prahalad beruhen Gandhi-Innovationen auf dem indischen
Prinzip des »jugaad«: Alternativen entwickeln, improvisieren, den Mangel an Ressourcen und finanziellen Mitteln mit Kreativität ausgleichen. Sie entstehen auf drei Wegen:
Geschäftsmodelle revolutionieren . Klassische Abläufe in großen Unternehmen sind meist schwerfällig, mehrschichtig und teuer. Indische Unternehmen reagierten darauf mit einem hohen Grad von Spezialisierung. So schrieben indische Programmierer lange Zeit nur Standard-Software-Routinen und wurden so für die Outsourcing-Prozesse westlicher Firmen attraktiv. Sie ergänzten dieses Modell durch eigene Qualitätskontrollen und erobern nun aus ihrer Nische heraus den Weltmarkt.
Vorhandene Technologien neu kombinieren . Indische Techniker entwickelten im Jahre 2005 einen der schnellsten Computer der Welt, den Hochleistungsrechner EKA. Dabei kombinierten sie einfach Standardserver in einer kreisförmigen Anordnung, die Kühlaggregate ersparte; als Systemsoftware nutzten sie Linux. Damit konnte Rechenzeit zu einem Zehntel der üblichen Kosten angeboten werden.
Kompetenzen einkaufen oder gemeinsam entwickeln . Indische Firmen sind Meister des koordinierten Outsourcings. Für den Tata entwickelte man mit Firmen aus aller Welt gemeinsam ein einfaches Motorsteuerungssystem, Designelemente der Karosserie, die Sitze sowie das Heiz- und Klimasystem.
Diese drei Methoden entziehen die Gandhi-Produkte den klassischen Koordinaten des (westlichen) Marktes. Sie stellen einen eigenen Weg der »kreativen Zerstörung« dar – sie sabotieren Wertschöpfungsketten, indem sie Produktionsweisen, Ideen und Ressourcen neu kombinieren. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die indischen, chinesischen, brasilianischen Billigprodukte so wohlgestaltet und attraktiv geworden sind, dass sie auch für westliche Märkte interessant werden. Den Anfang machen Elektroroller aus China, die rund ein Zehntel kosten, aber inzwischen genauso gut fahren wie einheimische Produkte und keine Kopien westlicher Modelle sind.
Dies gilt umso mehr für Dienstleistungen. 800 Dollar kostet die Fahrt eines Rettungswagens zum Krankenhaus in den USA, rund
1000 Euro in Europa. 15 Dollar berechnet in Indien die Organisation Emergency Management and Research Institute. EMRI hat alle Krankenwagen selbst entworfen und nutzt in einem Land ohne verlässliches GPS ein »Stafettensystem«. Teams auf Zweirädern fahren den Rettungswagen voraus, um den Verkehr zu bändigen, ein professionelles Telefonmanagement liefert verlässliche Informationen über die Art des Notfalls.
Innovation ist in Zukunft vor allem kreatives System-Knowhow, Implementierungswissen, Organisationstalent – und das Verständnis, wie man mit weniger mehr erreichen kann. Erreichen muss! Welche der heutigen sensationellen Technologien könnten uns dabei helfen, 9 Milliarden Menschen zu kleiden, zu behausen, mit Energie und Nahrung und Kommunikation zu versorgen? Nanotechnik? Gentechnik? Weltraumtechnik? Fusionstechnik? Materialtechnik? Die Frage ist banal, aber zukunftsentscheidend: Wo bleibt die neue Waschmaschine für die Welt? Denn um die Waschmaschine dreht sich im Grunde alles!
14 Die neuen Knappheiten
In einem seiner legendären Vorträge tritt Hans Rosling, der Guru der Globalisierung, zusammen mit einer leibhaftigen Waschmaschine auf der Bühne auf. 1 Und erzählt, wie er als sechsjähriger Junge in den frühen sechziger Jahren Zeuge eines wahrhaft ungeheuerlichen Wandels wurde. Seine Eltern packten eine Waschmaschine aus, ein
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