Das Midas-Kartell
erklärte Pieter, machte auf dem Absatz kehrt und verlieà den Raum, der ohne ihn noch trostloser aussah. Wittgenstein, die geballte Energie, die Hundert-Watt-Glühbirne im Anzug. Daniel lieà den Blick über die Akten wandern und zog dann eine aus dem Regal. Finanztransaktionsprotokolle. Am Ende des ersten Tages war ihm klar, dass ein paar lange Nächte vor ihm lagen. Er rief Emily an, um ihr zu sagen, dass er spät heimkommen würde, an diesem Abend und auch an vielen weiteren in den nächsten Wochen.
Am Ende der ersten Woche bemerkte Daniel, dass irgendetwas an den Zahlen, die er durchackern sollte, faul war. Die britischen Konten waren sauber, aber da gab es ein Investmentkonto unter einem dritten Namen, Einzahlungen, die sich keinem der britischen Kunden zuordnen lieÃen. Die Gelder hatten nichts mit dem GroÃbritannien-Geschäft zu tun, sondern führten über eine Reihe von Holdinggesellschaften nach Ostasien und von dort auf Konten in der Karibik. Immer waren es kleine Summen, jedenfalls für Geschäfte dieser GröÃenordnung; ein paar Millionen hier, ein paar Millionen da. Es würde sich sicherlich herausfinden lassen, wie viel insgesamt über diese Kanäle hereingekommen war, aber das würde viel Zeit in Anspruch nehmen und seine Prüfung der britischen Konten verzögern. Er beschloss, am nächsten Tag mit Pieter darüber zu reden. Offensichtlich gab es da einen Schurkenhändler, der versuchte, seine Spuren zu verwischen, indem er Geld von einem Konto aufs nächste schob. Die Beträge bewegten sich so rasant, dass man Gewinne und Verluste kaum nachvollziehen konnte.
»Daniel, was kann ich für Sie tun? Sagen Sie nicht, Ihnen ist die Arbeit ausgegangen«, begrüÃte ihn Pieter mit einem lässigen Lächeln. Er saà hinter seinem Schreibtisch, einer modernen Konstruktion aus Glas und Stahl, die einen seltsamen Kontrast zu den holzvertäfelten Wänden und den impressionistischen Gemälden bildete.
»Oh, ganz im Gegenteil. Ich fürchte, ich habe da etwas entdeckt, was noch viel genauer untersucht werden sollte.«
»Das klingt aber ominös.« Pieter legte die Unterlagen beiseite, die er gerade durchsah, und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um Daniel aufmerksam zu mustern.
»Es hat mit den Handelskonten zu tun, die Mittel in das Asien-Geschäft pumpen.«
»Ich wusste gar nicht, dass das in Ihren Unterlagen ist, Daniel.« Pieter runzelte die Stirn.
»Ist es auch nicht. Aber es könnte die Londoner Deals beeinträchtigen. Es ist unmöglich, die Zahlungsflüsse auf diesen Konten nachzuvollziehen, ohne tiefer ins Detail zu gehen. Ich könnte mir vorstellen, dass es da Asymmetrien gibt.«
»Asymmetrien? Ist das Finanzprüferjargon für Mauscheleien?«
»Nein, nein«, beeilte sich Daniel zu sagen. »Aber die Bewegungen dieser Konten sollten nachgeprüft werden. Ich finde nur keine Belege darüber.«
Pieter legte die Fingerspitzen aneinander und stützte sein Kinn darauf. »Es war richtig von Ihnen, damit zu mir zu kommen, Daniel. Jetzt verstehe ich voll und ganz, warum Ihr Chef so begeistert von Ihnen ist. Vielleicht hat sich einer unserer Broker im Fernen Osten auf riskante Deals eingelassen. Unsere Niederlassung in Singapur hat den Ruf, von der Hand in den Mund zu leben. Die Geschäfte dort sind zwar sauber getrennt von unseren britischen, aber ich werde trotzdem unser Compliance-Team bitten, sich der Sache anzunehmen und zu prüfen, ob die Kollegen dort alles im Griff haben. Gibt es noch was?«
Daniel rührte sich nicht von seinem Stuhl. Er war sich nicht sicher, ob das eine Abfuhr gewesen war. »Nein, das war alles. Vielen Dank.«
Mit einer seltsamen Mischung aus Unbehagen und Erleichterung kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. Einerseits war er froh, dass er die Nachforschungen nicht selbst anstellen sollte. Es wäre eine erhebliche Mehrarbeit gewesen, und er hatte ohnehin genug zu tun. Doch irgendetwas an Pieters Reaktion hatte ihn irritiert; entweder nahm der Mann Daniels Entdeckung nicht ernst, weil er die Folgen nicht einschätzen konnte â oder er wusste längst, was los war.
Daniel verdrängte alle Gedanken an das Gespräch mit Pieter und vergrub sich zwei Tage lang in der Arbeit. Dann passierte etwas Merkwürdiges. Er machte wieder einmal Ãberstunden, schon hatte die antike Uhr im Sitzungssaal zehnmal geschlagen, da
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