Das Midas-Komplott - Thriller
Nummern, da er der Auffassung war, dass ein Anrufer schließlich eine Voicemail hinterlassen konnte, wenn es wichtig war. Bisher hatte er aber noch keine neue Nachricht auf seiner Mailbox.
Die Fähre war nur halbvoll, er hatte eine ganze Bank für sich allein und konnte die Beine auf den gegenüberliegenden Sitz legen. Normalerweise saß zu dieser Zeit sein bester Freund Grant Westfield neben ihm und spielte auf seinem Handy herum. Grant hatte jedoch eine frühere Fähre genommen, weil er vor Tyler mit der Arbeit aufhören wollte, um ein langes Wochenende in Vancouver zu verbringen. Seit zwei Monaten fuhren sie dreimal in der Woche von Seattle zum Marinestützpunkt Bremerton, wo sie als Berater beim Neubau des Munitionsdepots tätig waren.
Wieder ging Tylers Handy. Dieselbe Nummer. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und sah zur langsam am Horizont versinkenden Skyline von Seattle hinüber. Es war zwanzig
Minuten vor neun, aber die Sonne ließ sich an diesem 16. Juni noch nicht blicken. Eine niedrige Wolkendecke und grauer Nieselregen machten ihn zu einem typischen »Junuartag«, wie die Einheimischen witzelten.
Ein Telefonverkäufer konnte es nicht sein. Der würde ihn nicht Dr. Locke nennen. Er war schließlich kein Arzt. Promoviert hatte er zwar; aber nur dann, wenn er als Berater tätig war, wurde er gelegentlich mit seinem Titel angesprochen. Allerdings nicht von seinen Mitarbeitern, es sei denn, sie wollten ihn hochnehmen. Theoretisch konnte der Anruf also doch etwas Berufliches sein. Nur, bis Bremerton musste er noch fünfzig E-Mails durchackern, er hatte eigentlich keine Lust auf ein langes Gespräch. Sollte der Anrufer ihm doch eine mündliche Nachricht hinterlassen. Wieder steckte er das Telefon weg. Irgendwann würde der Mensch es kapieren.
Eine Minute, nachdem er sich erneut seinem Laptop zugewandt hatte, meldete sein Handy eine weitere SMS. Seufzend zog er es aus der Tasche.
»Dr. Locke, wenn Sie meinen Anruf nicht beantworten, sind Sie in achtundzwanzig Minuten mausetot.«
Er las die Nachricht dreimal, bevor er seinen Augen traute. Dann klappte er seinen Laptop zu, setzte sich aufrecht hin und nahm die Füße vom Sitz. Langsam ließ er seinen Blick über die Passagiere in seiner unmittelbaren Umgebung gleiten, aber niemand schien auch nur das geringste Interesse an ihm zu haben.
Sein Handy klingelte. Dieselbe Nummer.
»Hallo?«
»Hier spricht der Mann, der jeden auf dieser Fähre umbringt, wenn Sie nicht tun, was ich verlange.« Tyler konnte nicht erkennen, ob die heisere Stimme am anderen Ende eventuell einen Akzent hatte.
»Ich könnte das Gespräch einfach abbrechen und die Polizei
anrufen«, erwiderte er. »Ist bestimmt ein Erlebnis, wenn das FBI bei Ihnen hereinschneit.«
»Das könnten Sie natürlich tun. Bloß, was hätten Sie der Polizei mitzuteilen? Mein Telefon ist prepaid und zwar in bar. Sie können mir glauben, dass ich alles genau durchdacht habe.«
Einen Moment lang überlegte sich Tyler, ob er nicht doch seine Drohung wahr machen und die Polizei benachrichtigen sollte. Aber der Mann hatte natürlich völlig recht. Was würde er der Polizei sagen?
»Worum geht es?«, fragte er.
»Um Sie, Herr Dr. Locke. Aber das klingt mir zu albern. Ich werde sie einfach Locke nennen.«
»Was für ein Quatsch!«
»Im Augenblick vielleicht, in einigen Minuten nicht mehr.« Tyler schwieg. »Und warum rufen Sie ausgerechnet mich an?«
»Weil ich genau so jemanden wie Sie brauche. Jemand, der seinen Bachelor in Maschinenbau am MIT abgelegt hat. Der in Stanford promoviert hat. Der Captain eines Pionierbataillons der U.S. Army war und somit Experte in Abbruchfragen und Bombenentschärfung ist. Jemand, der jetzt bei Gordian Engineering verantwortlich für Sondereinsätze ist. Auf dem Papier machen Sie eine hervorragende Figur.«
»Sie wissen also, wer ich bin. Aber warum sollte ich Sie ernst nehmen …?«
»Weil ich Ihnen gerade ein paar Bilder gemailt habe, die Ihnen die Gefahr illustrieren werden, in der Sie schweben. Schauen Sie sich die Fotos an. Verlieren Sie keine Zeit.« Mit dem Handy in der einen Hand öffnete Tyler ungehalten seinen Laptop und sah bei den neuesten E-Mails nach.
Eine kam von einer ihm unbekannten Adresse. Der Betreff lautete: Noch siebenundzwanzig Minuten.
Tyler öffnete die Nachricht. Sie enthielt keinen Text, sondern nur zwei Bilder.
Auf dem ersten war ein Zweiachser zu sehen, auf dessen Seite Silverlake Transport zu lesen war.
Das zweite zeigte einen
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