Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Halbdunkel auf diesen Bildern. Das Licht kam immer von einer Lampe oder durchs Fenster. Aber das Beste waren die Bücher. Im Hintergrund standen immer Bücherschränke. Ein Bild zeigt Stalin zu Besuch bei Lenin. Lenin hat sich erhoben, um Stalin zu begrüßen, und auf seinem Sessel liegt ein aufgeschlagenes Buch. Auf einem anderen Gemälde sprechen Stalin und Lenin mit »Delegierten aus den mittelasiatischen Republiken«. Die Delegierten trugen asiatische Käppchen, und im Hintergrund war eine große Bibliothek. Man sah, dass die Delegierten von den vielen Büchern beeindruckt waren. Ich erinnere mich auch an das Bild »W. I. Lenin und N. K. Krupskaja in der sibirischen Verbannung«.
Lenin steht, in ein Buch vertieft, neben einer Kommode und N. K. Krupskaja neben einem Bücherbord.
Später las ich auch die schön geschriebene Widmung: »Meinem besten Freund Nebojša Krstić zur ewigen Erinnerung. Major Veljko Vukašinović«.
Mein Großvater hieß Nebojša Krstić.
Er war ein Partisan der ersten Stunde. Mein Alter behauptete, Großvater sei ein »Geheimdienstler« gewesen. Das sagte er erst später, als die Kommunisten nicht mehr hoch im Kurs standen. Mein Alter war ein Scheißkerl. Es stimmt, dass die meisten Menschen Scheißkerle sind, die mal auf das eine, mal auf das andere abfahren. Worin unterscheiden sich denn die Kommunisten von Sai Baba? Die Kommunisten wollten auch Wunder vollbringen. Man hat sie bloß nicht gelassen. Ich glaube nicht, dass sie all die Bücher
gelesen haben, wenn aber jemand sagen würde, ich solle ein repräsentatives Porträt meiner Familie zeichnen, was müsste da drauf? Neben den Alten würde ich sein Auto malen, das er mehr gehegt und gepflegt hat als mich. Neben die Alte – die Plastiktüten, in denen sie ständig Einkäufe vom Markt herbeischleppte. Neben mich einen Fußball.
Und neben Großvater den alten Revolver, den er im Nachtschränkchen aufbewahrte und den ich nicht anrühren durfte. Meine Alten waren Landeier. Die Kommunisten waren cool!
Ante: Aufforderung zum Tanz
Ich erinnere mich, dass wir in der Grundschule Tanztees hatten. Die verschwanden, als die Diskos kamen. Bei den Tanztees gab es nie Tee oder was anderes zu trinken, so dass ich nicht weiß, woher dieser Name stammte. Die Stuhlreihen standen sich an den Saalwänden gegenüber. Auf der einen Seite saßen die Jungs, auf der anderen die Mädchen. Die Klassenlehrerin war auch immer da. Sie passte auf, dass wir nicht zu viel von dem Tee tranken, den es nicht gab.
Einer war immer für die Musik zuständig. Damals gab es noch Plattenspieler und Tonbandgeräte. Wir gingen auf die Mädchen zu und blieben wortlos stehen, wie richtige Macker. Das bedeutete, dass wir das Mädchen zum Tanz aufforderten. Von Zeit zu Zeit rief die Klassenlehrerin:
»Und jetzt Damenwahl!«, dann standen die Mädchen auf und holten uns. Da konnte man am besten erkennen, wer von uns welchem Mädchen gefiel.
In diesem »hormonalen« Alter tanzten wir am liebsten eng. Die Musik im »only you«-Tempo, du drückst das Mädchen
an dich, dass ihr beide kaum Luft kriegt. Und du wirst total hölzern vor Erregung, lässt dir aber nichts anmerken. Wenn ich heute daran denke, halte ich den Atem an wie beim Tauchen. Und wenn ich auftauche, bin ich an ihr Gesicht geschmiegt. Wir sind uns so nah, dass ich meinen Blick nicht auf einen Punkt richten kann; ich schiele nur noch. Sie hat milchweiße, durchsichtige Haut mit blauen Äderchen an den Schläfen. Ihr Atem riecht nach Pfefferminzbonbons. Mir wird noch heute schwindlig, wenn ich daran denke. Das Mädchen hieß Sanja Petrinić.
Meliha: Bosnischer Eintopf
Die Erinnerung hilft uns zu überleben.
Marcela Prustić
Man nehme je ein halbes Kilo Schweinefleisch und Rindfleisch, alles ohne Knochen, und schneide es in große Stücke, ein halbes Kilo Kartoffeln, 2 Zwiebeln, nur halbiert, 10 ganze Knoblauchzehen, 400 g Tomaten, 4 Paprikaschoten, 300 g Wirsing-, 200 g Weißkohl, 2 Möhren, 2 Petersilienwurzeln, 1 Sellerieknolle, 1 Kohlrabi, 10 grüne Bohnen, 2 EL süßen Paprika, 15 bis 20 Pfefferkörner, ein paar Lorbeerblätter, 3 dl Weißwein und Wasser oder Brühe nach Bedarf. Man schichte alles grob geschnitten abwechselnd in einen Tontopf (ein gewöhnlicher tut es auch), gieße den Wein und Wasser (oder Brühe) zu. Man lege einen Deckel auf den Topf und dichte ihn mit Teig ab, damit kein Dampf entweicht. Auf leichtem Feuer vier bis fünf Stunden köcheln lassen.
Johanneke: Vanillekugeln
Wir waren eine
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