Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
Ich-ich-ich und unterhalten sich mit dem Weltall und den Sternen. Dahin gehört das
Mensch, geh nicht klein unter den Sternen.
In diesen Gedichten kommen mir alle wie verkappte Übermenschen vor.
Okay, fine. Ich scrolle weiter. Etwa zwanzig Prozent entfallen auf die Natur, ihre Schönheiten, verschiedene Niederschläge und Jahreszeiten. Unseren Typen ist die Flora wichtiger als die Fauna. Ein einziges Gedicht hab ich über die Tierwelt gefunden, über ein Kalb, aber das hab ich erst am Ende kapiert. Am Anfang dachte ich, es geht um eine Tussi, so sexy war das alles, bis der Vers über den Kuhfladen kam … Was die Pflanzenwelt angeht, da gibt es viele Gedichte über Bäume, Espen, Weiden, Pappeln, Eichen und so. Die größte surprise für mich war, dass unsere Dichter Blumen lieben, Maiglöckchen, Stiefmütterchen, Rosen, Zyklamen, einer spricht sogar von blutigen Zyklamen. Das ist für mich nicht kompatibel, ich meine Horror und Hortikultur.
Bei wie viel waren wir? Neunzig Prozent? Okay. Dann habe ich nach Sex gesucht. Jeeeee! Da fällst du glatt ins Koma. Unsere Typen haben mit Weibern nichts am Hut,
das siehst du sofort, dafür brauchst du keinen Taschenrechner. Sie können über Weiber nur schreiben, wenn die im Grab liegen, im Ernst. Als könnten sie es kaum erwarten, dass die Dame krepiert, um einen traurigen Vers hinterherzuwerfen:
Ich sah dich gestern. Träumend lagst du. Traurig. Tot. Die Totenhalle voller Blumenharmonie.
Erhöht die Bahre, Kerzen in der Agonie …
Das haben wir in der Schule gelernt, weißt du noch? Derselbe nekrophile Typ hat auch das geschrieben:
Ich weiß nicht, was du bist, Frau oder Hyäne …
Da ist er mir wirklich auf den Keks gegangen. Wie lange will sich der noch fragen, was seine Tussi ist? Ein anderer Freak hat nur Sorgen, wo er seine Dame begraben soll
(Wo werde ich dich, o meine Liebe, jetzt, wo du verstorben bist, beisetzen …).
Alles sehr nervig. Einer, der lange weg war, kommt heim und erfährt, dass seine Mieze abgekratzt ist
(Und als ich zu dir kam, kam ich zu einer Toten …).
Und ich denk mir, besser wärst du nicht zurückgekommen. Und ein anderer, den kennst du, auch den haben wir in der Schule durchgenommen, sagt:
Noch könnte uns die Liebe geschehen, aber ich weiß nicht, ob ich sie ersehne oder nicht.
Da hab ich das Buch definitiv in die Ecke geschmissen. Du Trottel, dachte ich, dein Problem ist nicht, ob du willst oder nicht, sondern dass du nicht kannst. Lass mich in Frieden, deinen Scheiß kannst du jemand anderem verkaufen. Unsere Dichter sind alle krank, keiner ist gesund in diesen zweihundert Jahren Poesie oder wie lange das schon dauert.
Und mir ist wirklich scheißegal, wie sie heißen, Zvonko, Milo
š,
Janez oder Cane, alle sind gleich, alle sind sie Scheißer und Arschlöcher. Und die heutigen sind auch nicht besser. Für diese conclusion brauchst du keinen Taschenrechner.
Uroš: Ich wollte eine Nachtigall sein
In der zweiten Grundschulklasse gab die Lehrerin uns auf, etwas Schönes über Tito zu schreiben. Sie sagte, dass er im Krankenhaus sei, dass man ihm ein Bein amputiert habe und er sich über etwas Schönes freuen würde. Ich schrieb, ich möchte gerne eine Nachtigall sein, dann flöge ich jeden Morgen zum Ohr des Genossen Tito und weckte ihn mit meinem Zwitschern. Die Lehrerin lobte mich und verlas meinen Text vor allen. Später lachten mich meine Schulkameraden aus. Sie nannten mich »Nachti«. Das kam auch meiner Familie zu Ohren. Als sie erfuhren, was ich geschrieben hatte, lachten alle, besonders mein Alter. Kurz darauf starb Tito. Mein Alter weinte. Die ganze Familie guckte sich drei Tage lang im Fernsehen die Beisetzung in Belgrad an und weinte. Am meisten gefiel ihnen, dass viele Staatsmänner gekommen waren. »So viele Menschen, und alles bekannte Leute«, sagte meine Alte. Es machte ihnen Spaß, die fremden Namen falsch auszusprechen. Ich sagte ihnen, dass man Margaret Thatcher sagt und nicht Tratscher.
»Halt die Klappe, Nachti! Flieg lieber zum Kühlschrank und bring mir im Schnabel eine Flasche Bier«, sagte der Alte. Alle kugelten sich vor Lachen.
Jugoslawien war ein schreckliches Land. Dort logen alle, wie heute auch. Nur dass sich jetzt jede Lüge verfünffacht.
10.
…
Ich sage wohl am besten gleich, daß mir die Nördlichen Niederlande immer Angst eingejagt haben, eine ANGST , die in Großbuchstaben geschrieben werden müßte, als handele es sich, wie in der frühen Lehre der Naturphilosophen, um eines der Grundelemente,
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