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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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gehören«, sagte er, während er das Bücherregal musterte.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, sagte ich, seine Bemerkung überhörend.
    »Kaffee. Etwas anderes haben Sie sowieso nicht im Haus, oder?«
    Während ich den Kaffee aufgoss, überlegte ich, was ich ihm sagen sollte. Obwohl die Tassen sauber waren, spülte ich sie noch einmal. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich die Zuckerdose fand. Ich bummelte, gewann Zeit.
»Sie kommt aus Zagreb, Herr Graf, eine echte Zagreberin ist sie und ein in der Tat merkwürdiges Fräulein. Noch jung, aber schon mit einem eisernen Willen und einer heldenhaften Ausdauer ausgestattet. Nicht nur, dass sie die gewöhnlichen Schulfächer beherrscht, vielmehr ist sie auch noch des Französischen und des Italienischen mächtig, versteht sich aufs Musizieren und Malen und kann wunderbar sticken. Sie ist dergestalt von ihrem Beruf eingenommen, dass sie nahezu leidenschaftlich ihre Pflicht erfüllt; sie besitzt eine idealistische Ader, dieses Mädchen hat es sich zu seiner heiligen Aufgabe gemacht, die ihr anvertrauten Seelen zu verwandeln und zu veredeln …«
    Das war ein Abschnitt aus August Šenoas
Branka
, einem kleinen romantischen Werk über eine Lehrerin, die, beseelt von den Idealen der kroatischen Wiedergeburt, aus Zagreb in das abgelegene Dorf Jalševo zog, um Bauernkinder zu unterrichten. Den Rücken ihm zugewandt, goss ich den Kaffee in dieTassen und hörte Igor zu, wie er aus dem Buch vorlas, das ich mir in der Seminarbibliothek ausgeliehen hatte. Mein Kinn zitterte, ich befürchtete, in Tränen auszubrechen. Igor hatte eine kindliche Art gewählt, mir einen Stich zu versetzen. Ich ahnte, dass diese Einlage mit Šenoa nur die Ouvertüre zu einer vorbereiteten Vorstellung war.
    »Und so glotzen Sie schon seit Monaten auf die Füße von Passanten?«, fragte er, nachdem er das Buch weggelegt hatte, mit dem Kopf zu dem vergitterten Fenster weisend.
    »Man findet sich mit den Dingen ab, wenn man weiß, dass sie vorübergehend sind. Ich gehe ohnehin in ein paar Tagen weg«, sagte ich so gelassen, wie eben möglich.
    »Warum sind Sie so sicher, dass die Dinge nur vorübergehend sind?«, fragte er. Wohin ich gehen würde, interessierte ihn nicht, oder er tat nur so.
    Ich reichte ihm die Tasse Kaffee. Er wollte mich provozieren, deshalb beschloss ich, das Thema als Erste anzusprechen.
    »Igor, es tut mir wirklich Leid …«
    »Well, you are sorry.«
    »Setzen Sie sich«, sagte ich und setzte mich. Er blieb stehen, den Rücken mir zugekehrt, mit dem Blick auf das vergitterte Fenster.
    »Ich weiß, dass Sie wegen der Noten gekommen sind.«
    Er drehte sich um und richtete seinen dunklen, etwas schrägen Blick auf mich.
    »Nehmen wir an, dass es so ist«, sagte er. »Und?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich mit brüchiger Stimme. Mein Kinn begann wieder zu zittern.
    Er drehte sich um, durchquerte das Zimmer, blieb bei einem Korb stehen, in dem ich Kleinigkeiten aufbewahrte, darunter auch die, welche meine Studenten mir zum Geburtstag geschenkt hatten. Igor wühlte im Korb.
    »Dabei hatte alles so gut begonnen, nicht wahr?«, sagte er und nahm aus dem Korb zwei Paar Handschellen.
    »Ja«, sagte ich vorsichtig.
    »By the way, haben Sie jemals versucht, sich diese Handschellen anzulegen?«
    »Wozu denn?«, fragte ich trocken.
    »Hat es Sie nicht interessiert, wie man sie öffnet?«
    »Nein …«
    »Aber, aber,
drugarica
, wo bleibt Ihre wissenschaftliche Neugier!«, rief er.
    Bei diesem spöttischen Ton wurde ich rot. Schon wieder war ich den Tränen nahe.
    Igor kam auf mich zu, nahm mir die Kaffeetasse aus der Hand und stellte sie auf das Tablett.
    »Sollen wir sie jetzt mal ausprobieren?«, sagte er, packte mein Handgelenk und setzte einen leichten Kuss darauf. Seine Lippen waren kalt und trocken.
    Geschickt fesselte er mein Handgelenk mit den Handschellen an die Armlehne.
    »So, jetzt sind Sie meine Gefangene«, sagte er charmant.
    »Sie machen Spaß.«
    Mit Mühe brachte ich Sätze heraus, die nicht die meinen waren. Igor zog seinen Stuhl an den meinen heran, setzte sich und nahm meine freie Hand.
    »Geben Sie’s zu, meine Schnelligkeit hat Sie beeindruckt. Ich habe es stundenlang geübt«, sagte er.
    Ich zog meine Hand zurück.
    »Nehmen Sie bitte die Handschellen wieder ab. Wenn Sie schon so viel geübt haben, werden Sie wissen, wie das geht«, sagte ich und versuchte zu lächeln.
    Er fasste wieder meine freie Hand, hob sie an sein Gesicht und streichelte mit ihr

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