Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
uns eines Tages sicher treffen und
nach Herzenslust plaudern
würden. Dieses
nach Herzenslust plaudern
hatte sich schon fast körperlich angehört.
Cees legte mir behutsam auseinander, dass er mich trotz der hervorragenden Ergebnisse, die ich mit den Studenten im zweiten Semester erzielt hatte (Woher wusste er das? Hatte ihm wieder jemand berichtet, wie es in meinen Vorlesungen zuging, oder bediente er sich einfach einer liebenswürdigen Floskel?), im Herbst leider doch nicht weiter beschäftigen könne, weil es ihm nicht gelungen sei, die nötigen Mittel zu beschaffen. Das holländische Bildungsministerium schraube das Budget für die Hochschulen jedes Jahr weiter herunter. Bis das Geld für einen Lektor der kroatischen Sprache und Literatur aufgetrieben sei, wofür er sich doch persönlich einsetze, würde Ines ehrenamtlich einspringen. Bei all ihren Verpflichtungen im Haus habe sie sich dazu breitschlagen lassen, nur damit der Lehrstuhl nicht abgeschafft würde. Selbst Russisch, das Hauptfach der Slawistik, sei gefährdet. Von mir könne er doch unmöglich verlangen, unentgeltlich zu arbeiten, nein, das auf keinen Fall, er wisse, in welcher Lage ich mich befände, und wolle mich nicht ausbeuten. Ich würde mich sicher zurechtfinden, ich hätte jaden Doktortitel, ausreichend Erfahrung im Unterrichten und
ein großes Herz
. Und, was am wichtigsten sei:
Slavs are natural born teachers, aren’t they?
Ines lasse mich grüßen, es täte ihr Leid, mich nicht mehr getroffen zu haben. Sie sei mit den Kindern ans Meer gefahren. Sobald die Benotung abgeschlossen sei, werde er ihnen folgen. An mich habe er nur noch die Bitte, in den nächsten Tagen freundlicherweise die Formalitäten im Zusammenhang mit dem Auszug aus der fakultätseigenen Wohnung und die finanziellen Angelegenheiten mit der Sekretärin zu regeln.
Cees’ Ton war aufrichtig und bar jeder bösen Absicht. Er fragte mich allerdings nicht, wohin ich jetzt, nach meinem Aufenthalt in Amsterdam, zu gehen beabsichtigte. Vorsichtige Menschen stellen eben keine Fragen, deren Beantwortung sie zu etwas verpflichten könnte. Während Cees sprach, klingelte in meinem Kopf schrill wie eine Alarmglocke ein einziger Gedanke.
»Cees«, unterbrach ich ihn, »mein holländisches Visum läuft bald ab.«
»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen da behilflich sein könnte.«
»Indem Sie als Leiter der Slawistischen Abteilung mit einem Brief bescheinigen, dass ich auch in den nächsten zwei Semestern unterrichten werde.«
»Das hieße, das Gesetz umgehen. Dieses Risiko kann ich nicht auf mich nehmen.«
»Die Behörden interessiert doch nicht die Wahrheit, sondern die Bescheinigung. Außerdem ist das kein zu großes Risiko.«
»Ich weiß nicht«, wich er aus.
»Morgen komme ich die Bescheinigung holen. Sie können sie bei der Sekretärin hinterlassen«, sagte ich in einem Ton, der nicht der meine war.
Ich verließ das Zimmer, überzeugt, morgen die Bescheinigung mit seiner Unterschrift und dem Stempel der Fakultät vorzufinden. Ich lief schnell die Treppe hinunter, eilte im Café gegenüber zur Toilette und übergab mich, lang und mühsam wie noch nie.
Später fragte ich mich, warum ich mich mit dieser Bitte um die Bescheinigung einer unnötigen Erniedrigung ausgesetzt hatte und wozu ich die Verlängerung des Aufenthaltsvisums brauchte, wo ich doch ohne Arbeit war. Bislang hatte ich gedacht, ich sei immun gegen das Emigrantenfieber, dessen Symptome ich bei anderen, auch bei Goran, bemerkt hatte. Alle redeten von
Papieren
und waren zu allem bereit, nur um an
Papiere
zu kommen. Aber was danach?
Danach werden wir schon sehen.
Viel zu oft sah ich auf ihren Gesichtern den schnellen Stimmungswechsel zwischen Gerissenheit, Demut und Angst. Die krampfhafte Suche nach dem Loch, in das man noch hineinschlüpfen kann, verlieh ihnen einen besonderen Ausdruck, nervös, schwermütig und halb kriminell zugleich. Ich kannte die hitzigen Gespräche, die plötzlich in Schweigen umkippten. Ein unsichtbarer Schatten der Verzweiflung huschte kurz über ihre Gesichter, dann kamen die Menschen wieder zu sich und ritten, als wäre nichts gewesen, mit der gleichen Hartnäckigkeit auf demselben Thema herum.
Ich bin keine Emigrantin, ich besitze einen Pass. Warum also habe ich mich vor Cees erniedrigt? Und auch vor Ines, die die Geschichte mit der Visaverlängerung sofort erfahren wird (
Wir sind ihr wirklich entgegengekommen. Cees hat wirklich alles getan, was er konnte. Wir sind doch Landsleute.
Weitere Kostenlose Bücher