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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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Erst in der Fremde merkt man, was das bedeutet. Den eigenen Leuten muss man doch helfen …
). Ach, Ines! Dieses Geplapper, diese k. u. k. Gespreiztheit, dieses Soft-Kroatentum, diese vorgegebene»südländische« Wärme, diese Zufriedenheit mit sich selbst und mit dem eigenen Heim, an dessen Wänden die Beute aus der ersten Ehe prangt.
Damit die Holländer sehen, dass wir keine armen Teufel sind.
Die beiden, Ines und Cees, wähnen sich in einer soliden bürgerlichen Festung, während sie in Wahrheit auf einer dünnen Eisscholle balancieren und dabei ständig lächeln, brabbeln, Tafelsilber aus dem Schrank holen. Das Tafelsilber und die Bilder kroatischer Naiver sind für Ines die einzigen Waffen gegen den bösen Blick, gegen alles Böse. Großmutters silbernes
Beštek
ist für sie der klare Beweis dafür, dass sie einer Klasse angehören, der nichts Schlimmes passieren kann. Ich hingegen, ich würde mich schon zurechtfinden, ich hätte den Doktortitel und ein großes slawisches Herz.
Slavs are natural born teachers, aren’t they?
O ja, ich werde das Visum nehmen, so wie man sich Brosamen vom Tisch holt, und danach,
danach werden wir schon sehen


    Als ich mich später beruhigte, kam mir in den Sinn, dass Cees mir eigentlich nichts versprochen hatte. Ihn traf keine Schuld. Ich war diejenige, die ohne äußeren und inneren Halt geblieben war. Ich war verwundbar, ich war verfügbar. Ein jeder konnte mich mit spitzen Fingern anpacken, auf den Rücken werfen, mit mir spielen oder mich zerdrücken. Deshalb kroch ich so leicht Ines’ Worten auf den Leim, ging im süßen Schaum ihres Gebrabbels unter. Aber auch sie traf keine Schuld. Ich war diejenige, die angeschlagen war. Um ganz zu bleiben, hatte ich mich mit einem Schutzmantel umgeben, der mit der Zeit in mich hineingewachsen war und mich von innen zerfressen hatte. Ich war diejenige, die es nicht mehr gab.
    Beim Verlassen des Cafés erblickte ich Igor. Er saß in seiner gewohnten Pose da, mit Kopfhörern, und las. Er hatte mich nicht bemerkt. Plötzlich musste ich an die Amerikaner denken,bei denen ich in Berlin gearbeitet hatte und die es nie unterließen, mich ihren Freunden und Gästen vorzustellen:
This ist Tanja, our babysitter. She comes from former Yugoslavia. Tanja is wonderful with children. She really has a way with them …

10.
    »Bist du eine
Unsrige
?«, fragt er, die Augen listig zusammengekniffen, und grinst. Ein Goldzahn blitzt auf. Im anderen Mundwinkel hängt eine feuchte Zigarette.
    »Ja«, sage ich. »Und woher kommt ihr beide?«
    »Ich bin aus der Umgebung von Smederevo, der da aus Kumanovo. Wie kommst du eigentlich hierher?«
    »Direkt vom Mars gefallen«, sage ich.
    Beide kichern.
    »Das mag ich, keiner ist so schlagfertig wie die
Unsrigen
«, sagt der Zigeuner zu seinem Partner.
    »Also, Schwesterchen, sollen wir etwas für dich spielen?«, fragt er.
    »Warum nicht.«
    »Etwas aus deiner Heimat, vom Mars?«
    »O ja.«
    Er greift zur Klarinette, der andere hängt die Riemen seiner Ziehharmonika über die Schultern, wirft die Zigarette weg und setzt ein breites Lächeln auf.
    Ich nehme einen Hundertguldenschein aus meiner Handtasche und werfe ihn in den Hut.
    Der Blick des Harmonikaspielers streift den Schein.
    »Aber, Schwesterchen«, beschwört er mich weinerlich, »schmeiß doch nicht so mit deinem Geld herum, sei nichtdumm, heb es lieber für schlimme Zeiten auf. Ein, zwei Gulden genügen. Komm doch her, Schwesterchen, komm schon, koooomm, sei nicht dumm, nimm dein Geld zurück …«
    Ich winke ab und verliere mich in der Menge. Das Zigeunerlied von der untergehenden Sonne hat zielsicher wie ein Geschoss mein Herz getroffen, das nun blutet. Das Eis, das es umgab, schmilzt langsam, und ich schleppe mich verwundet weiter über den Wochenmarkt.

    Albert Cuyp im ehemaligen Arbeiterviertel Pijp ist der bekannteste und größte offene Markt Amsterdams. Die Marktstände, es sollen über dreihundert sein, schießen frühmorgens aus dem Boden und verschwinden am Spätnachmittag. Der Einkauf von Fisch, Gemüse und Obst diente mir nur als Vorwand, denn eine magnetische Kraft zog mich zu dem Markt hin. Eingetaucht in einen leichten Nebel von Blütenstaub, duftete der Markt betörend nach Gewürzen aus Übersee – Zimt, Nelken, Muskatnuss, die einen Hauch von Wind und Meersalz mit sich trugen. Die Luft glitzerte und flimmerte vom Glanz üppiger Ballen mit feiner Seide und schwerem Samt, von exotischen Juwelen, Gold und Perlen, vom Perlmutt

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