Das Missverstaendnis
zuerst an uns denken.«
»Ich kann nicht.«
»Ein kleines Schmusetier?«
»Nein, eine echte Frau, hingebungsvoll, aufrichtig und liebevoll … Deshalb kann ich nicht …«
»Mein armer Freund, das ist zu dumm …«
»Ja. Ich weiß.«
»Hör zu«, begann Vendômois erneut, »ich muß nachher noch einen Vertrag machen, mit einem Engländer … Aber wenn du ja sagst, schicke ich ihn zum Teufel … Du gibst mir dein Wort, und ich warte dort auf dich …«
»Ich kann dir mein Wort nicht geben.«
»Du kommst nicht?«
Yves schwieg und starrte ins Feuer.
Vendômois stand auf.
»Na dann«, sagte er mit einem kurzen Seufzer, »Leb wohl, mein Lieber, alles Gute.«
Sie umarmten sich. Yves war bleich.
Bevor er ging, sagte Vendômois noch:
»Hör zu. Wenn es eines Tages nicht mehr geht … man weiß ja nie … Versprich mir, daß du dann kommst.«
»Ich verspreche es dir.«
»Gut … Adieu …«
Als er wieder allein war, ging Yves zum Kamin zurück, kniete sich hin und legte mit einem tiefen Seufzen und einem trockenen und schmerzlichen Aufschluchzen die Stirn auf Pierrots Kopf.
»Mein guter Hund, guter Hund«, murmelte er, mit dem Mund im dichten Fell, »ach, wie gut das wäre … Stell dir vor: ein freies, wildes Leben, im Schnee, tief im Wald, jagen, arbeiten – auf gesunde Weise arbeiten, mit dem Körper und dem Kopf – und Freiheit … Ich werde dich mitnehmen … Ach, wie müde werden wir sein, und abends die Ruhe in einem Holzhaus, Stille, der Mond über dem Schnee, und diese großen Sterne, von denen Jean erzählte, größer und leuchtender als unsere … Mit müden Gliedern, wie ein Arbeiter, aber das Herz frei, glücklich … Mein lieber Hund, was für ein Traum!«
Auf dem Teppich sah er die kleinen Fotografien, die Vendômois ihm gezeigt und jetzt vergessen oder auch absichtlich bei ihm zurückgelassen hatte. Er nahm sie in die Hand. Er sah weite Täler, Holzhütten, leichte, von Rentieren gezogene Schlitten, Tannenwälder, kreisrunde, fast transparente Seen, in denen sich Birken spiegelten …
Er betrachtete die Bilder lange und warf sie dann ins Feuer.
»Denise, kleine Denise«, seufzte er, »du wirst niemals erfahren, was ich dir opfere.«
15
A ls er mit über einer Stunde Verspätung bei Denise eintraf, stand sie am Fenster und weinte heftig. Er erschrak.
»Mein Gott, Denise, was hast du? Ist etwas passiert?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne sprechen zu können. Er wollte sie an sich ziehen. Doch sie stieß ihn, starr vor Zorn, mit ausgestreckten Armen zurück.
»Du Egoist … Ich warte hier, außer mir vor Sorge, und stelle mir die fürchterlichsten Dinge vor, einen Unfall, irgendein Unglück … Und da kommen Sie hereinspaziert, ohne sich zu einer Erklärung herabzulassen, ohne ein Wort zu sagen …«
»Sie haben mir bis jetzt noch keine Gelegenheit dazu gegeben«, bemerkte er kühl, mit unvermittelt hart gewordenem Blick.
»Schweigen Sie, lassen Sie mich los, Sie sind gemein, feige, grausam … Sie haben nicht das Recht, hören Sie? – Nicht das Recht, mich so leiden zu lassen …«
Sie atmete mühsam.
Er machte einen Schritt zur Tür.
»Denise, ich glaube, Sie sind verrückt geworden … Leben Sie wohl, ich komme wieder, wenn Sie sich beruhigt haben.«
Da stöhnte sie auf wie ein verletztes Tier.
»Yves, Yves, verlaß mich nicht … geh nicht, Yves …«
Mit ihren wie wahnsinnig zitternden Händen klam merte sie sich an seine Kleider, seine Arme, seinen Hals; er packte sie, umfaßte ihre Brust auf eine Art, die eher einem Gewaltakt glich als einer zärtlichen Handlung. Doch nach und nach beruhigte sie sich; ihr Herz schlug wieder regelmäßiger; sie hob ihm ihr armes kleines Gesicht entgegen, tränenfeucht, erschüttert, totenbleich.
»Yves …«
Dann bat sie ihn leise und schüchtern:
»Sie vergeben mir doch, nicht?«
Er zuckte die Achseln und betrachtete sie mit einem undefinierbaren Ausdruck, in dem sich Mitleid, Zärtlichkeit und Verachtung mischten.
Engumschlungen saßen sie auf dem Sofa, in einer dunklen Ecke; im Kamin lagen glühende Holzscheite, die zuweilen rötlich und silberfarben aufflammten.
Denise hatte die Stirn auf Yves’ Brust gelegt und genoß das köstliche Gefühl der Entspannung, jene fast wollüstige Mattigkeit, die gewöhnlich auf die großen Nervenkrisen von Frauen folgt. Von Zeit zu Zeit erschütterte noch ein Schluchzen ihren Körper, doch allmählich wurde sie wieder völlig ruhig, wie die See nach einem Gewitter; ihr Herz, das eben noch so
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