Das Missverstaendnis
schwer gewesen war, fühlte sich leicht und weich an; es war, als schmelze ein großer Eisblock im Wasser ihrer salzigen Tränen, die immer noch in ihren Augenwinkeln schimmerten.
Verstohlen betrachtete sie Yves.
Er schwieg, bedrückt, der Blick schwer.
»Sie dürfen das nie, nie mehr tun, Denise«, sagte er schließlich leise.
Noch regte sich ein wenig Groll in Denise’ nicht völlig besänftigter Seele.
»Wo waren Sie die ganze Zeit?« fragte sie in einem fast haßerfüllten Ton. »Warum sind Sie nicht früher gekommen?«
»Ich habe einen Freund getroffen«, erwiderte er und wirkte kalt und distanziert dabei.
Sie wagte nicht zu sagen: Ich glaube Ihnen nicht, doch er bemerkte sehr wohl das kleine bittere Zucken ihrer Lippen. Unmerklich zog er sich zurück, versteifte sich. Eine Art dumpfe Feindseligkeit entstand zwischen ihnen. Sie spürte sie ganz deutlich und wollte sie mit Küssen und Liebkosungen bannen, wie einen Fluch; doch er blieb angespannt sitzen, mit fest geschlossenem Mund und reglosen Händen.
Da flüsterte sie:
»Yves, lieben Sie mich? Sagen Sie mir, daß Sie mich lieben … Sie sind mir so überaus teuer. Sprechen Sie mit mir, sagen Sie es mir …«
Er schwieg hartnäckig. Sie hatte das Gefühl, sich verzweifelt gegen eine verschlossene Tür zu werfen, vergeblich mit ihrem schmerzenden Kopf gegen sie zu schlagen wie ein armer Vogel in einem lichtlosen Zimmer; und unterdessen wiederholte sie mit ihrem schrecklichen und unbeholfenen weiblichen Eigensinn:
»Sagen Sie es … Sagen Sie es mir …«
Am Ende gab er ihr zur Antwort:
»Ich kann es nicht sagen, Denise, meine kleine Denise; geben Sie mir Ruhe, Erholung, Zärtlichkeit … Ich möchte Ihre Hände auf meiner Stirn fühlen, auf meinem Herzen, ich brauche Ihre liebe Stimme, die neben mir lacht … Aber ich kann es nicht, ich kann keine Liebesworte sagen … In all den Jahren habe ich es nicht fertiggebracht … Zwingen Sie mich nicht dazu, Ihnen hübsche Lügen aufzutischen … Das will ich nicht … Ich bin so müde … Schenken Sie mir Ruhe, Frieden … Das ist es, was ich brauche …«
»Aber was ich brauche, ich«, sagte sie störrisch, »sind diese Worte … Ich möchte hören, daß ich die Schönste bin und die Liebste und die Einzige. Ich brauche diese Worte, auch wenn ich weiß, daß es Lügen sind … Ich brauche sie …«
»Ich kann Ihnen nicht geben, was Sie von mir verlangen. Es ist nicht meine Schuld, Denise. Vielleicht habe ich genausowenig Gefühl wie Geld, ich weiß es nicht … Aber ich gebe Ihnen alles, was ich geben kann …«
»Das ist nicht viel … Und ich leide«, sagte sie leise.
»Also dann«, sagte er seufzend und schob sie sanft von sich, »dann müssen wir uns trennen.«
Eine sonderbare Kälte ließ sie jäh erstarren.
»Das meinen Sie doch nicht ernst?«
»Ich will nicht, daß Sie unglücklich sind.«
»Ach«, sagte sie, »ich will tausendmal lieber wegen Ihnen leiden als Sie verlieren, das wissen Sie sehr wohl …«
Schweigend legte sie ihre glühende Wange an die seine.
»Egoist«, flüsterte sie traurig, doch ohne Zorn.
»Egoistin«, erwiderte er mit einem seltsamen, matten kleinen Seufzer.
Und so blieben sie, eng aneinandergeschmiegt, schweigend auf dem Sofa sitzen; er blickte in die Ferne, und sie konnte den Blick nicht von ihm lösen.
16
Y ves öffnete die Tür zu seinem Zimmer; bevor er sie wieder schloß, rief er in Richtung des im Dunkeln liegenden Arbeitszimmers:
»Jeanne, bitte, mein Bad … schnell …«
Dann ließ er sich in den erstbesten Sessel fallen.
Er war dazu übergegangen, abends zu baden, weil ihm morgens, bevor er ins Büro ging, für ein Bad die Zeit fehlte. Er mußte sich damit begnügen, sich in einem schlechtgeheizten Badezimmer zitternd und in aller Hast zurecht zumachen, während der häßliche frühe Morgen hinter dem Fenster, den Bäumen, dem Himmel und den Dächern graute – Dächern, die aufeinanderfolgten bis in unabsehbare Ferne. Vier Jahre waren vergangen, und Yves wurde beim Aufwachen immer noch von einem Schauder erfaßt, er spürte diesen vagen Schmerz in der Herzgegend, diese nervöse Lust, zu gähnen und sich zu strecken, die ihn an die Nächte in den Schützengräben erinnerte, wenn der Alarm sie im Dunkeln aufspringen ließ, sie brutal aus ihren Träumen riß. Den ganzen restlichen Tag über verließ ihn dieses Gefühl eines unbestimmten Unwohlseins oder Erschöpftseins nicht; er träumte von dem Moment, in dem er endlich in Ruhe in die tiefe, mit
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