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Das Missverstaendnis

Das Missverstaendnis

Titel: Das Missverstaendnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Nemirovsky
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würde, weil ich weder die Kraft habe, auf ihn zu verzichten, noch, ihn weniger zu lieben … Diese Liebe, die ihm die Luft zum Atmen nimmt, wie Sie sagen – wenn ich sie auf zwei Männer verteilte, hätte sie genau das richtige Maß … Das ist komisch, es ist absurd, aber es ist so …«
    Madame Franchevielle schüttelte den Kopf.
    »Ich kannte einmal eine Frau«, sagte sie leise, den Blick in die Ferne gerichtet, »eine Frau, die ihren Geliebten so liebte wie du deinen, wie eine Wahnsinnige, eine Unglückselige … Sie quälte ihn mit ihren Liebkosungen, mit ihren ständigen Sorgen, ihrer Eifersucht … Und da sie ihm wirklich alles gab, ihr ganzes Herz, ihr ganzes Leben, kam es ihr vor, als würde sie von ihm nichts bekommen. Weißt du, in der Liebe ist es ja oft so, daß beide sich vorstellen, einen schlechten Tausch gemacht zu haben, nicht genug zu bekommen … Sie vergessen den lachenden Dritten, die Liebe selbst … Schließlich leiden sie beide … Eines Tages …«
    »Eines Tages?«
    »Also, eines Tages lachte sich die Frau einen Freund an, wie ein Spielzeug, zum Zeitvertreib. Keinen Liebhaber. Die Vorstellung der körperlichen Untreue war ihr unerträglich. Einen Freund also. Und sie spielte damit, ihn in sich verliebt zu machen. Sie machte das eher widerstrebend, wollte nicht mehr als sich an einem Unschuldigen abreagieren, und dann fand sie immer mehr Gefallen daran … Sie wurde wieder schön. Eine glückliche Liebe macht die Frauen schön. Ihr Geliebter merkte es und zeigte es ihr. Da sie sich schuldig fühlte, wurde sie ihm gegenüber nachsichtiger und dann, nach und nach, etwas gleichgültiger, während er glücklicher wurde … Das ist es … das ist alles …«
    Denise hatte den Kopf gehoben.
    »Wo ist diese Frau jetzt, Maman?«
    »Oh, sehr weit weg, meine Kleine, sehr weit …«
    »Ist sie … ist sie immer noch glücklich?«
    »So glücklich, wie es nur möglich ist … Sie hat die Lektion gelernt, die das Leben ihr erteilte: sehr wenig zu geben und noch weniger zu fordern …«
    »Und sie hat nie mit Bedauern an die Zeit zurückgedacht, in der sie ein ungeschicktes und verliebtes Mädchen gewesen ist? Sie hat ihrem Leiden nie nachgetrauert?«
    Madame Franchevielle schwieg. Ihr Blick war verschleiert. Dann stieß sie einen leisen Seufzer aus, zögerte einen Moment und gab mit fester Stimme zur Antwort:
    »Nein, niemals.«

19
    G egen Ende Juni plagten Yves große Sorgen: Er hatte sich verschuldet, und in der Hoffnung, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, spekulierte er auf Anraten seines Bürokollegen Mosès an der Börse. Es war ihm schleierhaft, wie die gleichen Operationen, die dem jungen Israeliten in zwei Wochen mehrere tausend Francs einbrachten, ihm selbst Verluste etwa in der gleichen Höhe bescherten. Er suchte sein Heil bei Wucherern, was seine Lage nur noch verworrener machte, und tat schließlich, was er schon am Anfang hätte tun sollen: In einem Brief an Vendômois erzählte er ihm alles und bat ihn um Hilfe.
    Er durchlebte schwarze Tage. Ruhelos und von Sorgen gequält, befand er sich im Zustand jener kranken Hunde, die sich in irgendeinen dunklen Winkel zurückziehen, um zu sterben. Sogar Denise’ Gegenwart war ihm manchmal zuwider; sein armes, übermäßig beanspruchtes Ich wünschte sich nichts anderes als Frieden. Sein Stolz verbot ihm, sie an seinen Nöten teilhaben zu lassen; hartnäckig schwieg er darüber. Und sie wagte nicht, ihm Fragen zu stellen, denn sie wußte bereits aus leidvoller Erfahrung, daß keine Macht der Welt ihn dazu bewegen konnte, ihr irgend etwas zu sagen, wenn er dazu entschlossen war zu schweigen.
    Einmal war er die ganze Nacht in seinem Zimmer auf und ab gewandert, während er zu berechnen versuchte, wie lange es noch dauern würde, bis er endlich Antwort aus Finnland erhielt. Dazu kam der peinigende Gedanke, daß er Vendômois vielleicht in Verlegenheit gebracht hatte, daß dieser sich nun selbst – wer weiß? – verschulden würde. Doch vor allem litt sein innerster männlicher Stolz darunter, daß er den Widrigkeiten des Alltags so ohnmächtig gegenüberstand; er konnte sich noch so sehr der Feigheit bezichtigen – die Vorstellung, was passieren würde, wenn Vendômois ihm nicht zu Hilfe käme, ließ ihn vor Angst kreidebleich werden und mit den Zähnen klappern. Gegen Morgen ließ seine fiebrige Erregung nach. Doch als er das erste graue Morgenlicht hinter den Fenstern flimmern sah, ergriff ihn eine entsetzliche Mutlosigkeit, ein sein

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