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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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blauer Rauch, der von brennenden Weizenhalmen aufsteigt, den Mond rot färben konnte, wusste Tiffany nicht. Aber sie hatte auch nicht vor, hinzufliegen und es herauszufinden.
    Lätitia fühlte sich offensichtlich wie im siebenten Himmel. Sie plapperte ununterbrochen vor sich hin, doch das war allemal angenehmer als ihr Dauerflennen. Sie war nur acht Tage jünger als Tiffany. Das wusste Tiffany deshalb so genau, weil sie keine Mühen gescheut hatte, es herauszubekommen. Aber was waren schon acht Tage? Tiffany fühlte sich alt genug, um ihre Mutter zu sein. Es war seltsam, aber Petulia und Annagramma und die anderen oben in den Bergen hatten ihr das auch schon erzählt: Hexen altern innerlich. Man tat, was getan werden musste, auch wenn es einem den Magen umdrehte. Man sah, was niemand je sehen sollte. Und was man tat, weil es getan werden musste, tat man meistens allein und oft im Dunkeln. Wenn draußen in einem abgelegenen Dorf eine Frau ein Kind bekam und dabei ernste Probleme auftraten, hoffte man, dass es in der Nähe eine alte Hebamme gab, die einem wenigstens moralische Unterstützung geben konnte. Aber wenn es darauf ankam, wenn eine Entscheidung über Leben und Tod getroffen werden musste, dann blieb sie einem selbst überlassen, weil man die Hexe war. Und dabei ging es auch nicht immer um eine Entscheidung zwischen Richtig und Falsch, denn manchmal blieb einem nur die Wahl zwischen Falsch und Falsch. Dann gab es keine richtige Wahl mehr … sondern nur noch eine Wahl.
    Unter ihnen huschte etwas über die mondbeschienenen Felder, so schnell, dass es leicht mit dem Besen mithalten konnte. Nach einigen Minuten wirbelte es mit einem Sprung zurück in den Mondschatten.
    Die Häsin läuft ins Feuer , dachte Tiffany. Und ich habe das Gefühl, da muss ich auch hin.
    Avec Souvenir lag – buchstäblich – am Ende des Kreidelandes; dahinter gab es nur noch Lehm und Kies. Tiffany sah einen Park und hohe Bäume – ganze Wälder davon – und mehrere Springbrunnen direkt vor dem Schloss, für das die Bezeichnung »Schloss« fast schon zu klein gegriffen war, ähnelte es doch mit seinen zahlreichen Wirtschaftsge-bäuden und Flügeln eher einem halben Dutzend aneinandergepappter Paläste. Es hatte einen seegroßen Zierteich und eine Wetterfahne in Form eines Fischreihers, mit der Tiffany um ein Haar zusammengeprallt wäre. »Wie viele Menschen wohnen denn hier?«, stieß sie hervor, während sie in den Sinkflug ging. Statt auf einem gepflegten Rasen, wie sie erwartet hatte, landete sie auf einer fünf Fuß hohen Schicht aus vertrocknetem Gras. Aufgescheucht durch die Eindringlinge aus der Luft, stoben unzählige Kaninchen in heller Aufregung davon.
    »Nur noch Mutter und ich«, antwortete Lätitia. Das tote Gras raschelte unter ihren Füßen, als sie vom Besen sprang. »Und natürlich die Dienstboten. Davon haben wir ziemlich viele. Aber keine Bange, die liegen längst alle im Bett.«
    »Wie viele Dienstboten braucht man denn für zwei Personen? «, fragte Tiffany.
    »Ungefähr zweihundertfünfzig.«
    »Das glaub ich dir nicht.«
    Lätitia, die bereits einen Nebeneingang ansteuerte, drehte sich um. »Na ja, einschließlich der Familien sind es allein auf der Farm schon ungefähr vierzig und dann noch mal zwanzig in der Molkerei; vierundzwanzig sind für den Park zuständig und fünfundsiebzig für die Gärten, samt Bananenhaus, den Ananaskästen, dem Melonenhaus, dem Seerosenhaus und den Forellenteichen. Die anderen arbeiten im Haus und in den Altgedingezimmern.«
    »Und was sind Altgedingezimmer?«
    Mit der Hand auf dem Türknauf aus angelaufenem Messing, hielt Lätitia inne. »Du hältst meine Mutter für furchtbar unhöflich und herrisch, nicht wahr?«
    Tiffany sah keine andere Möglichkeit, als die Wahrheit zu sagen, selbst auf die Gefahr einer mitternächtlichen Tränenflut hin. »Ja.«
    »Und du hast Recht damit.« Lätitia mühte sich mit dem Knauf ab. »Aber denen, die uns treu ergeben sind, hält sie ebenfalls die Treue. So haben wir es schon immer gehalten. Bei uns wird niemand entlassen, weil er zu alt, zu krank oder zu wunderlich geworden ist. Wenn sie in ihren Katen nicht mehr allein zurechtkommen, bringen wir sie in einem der Schlossflügel unter. Im Grunde sind bei uns die meisten Dienstboten mit der Pflege der alten Dienstboten beschäftigt. Wir mögen altmodisch und ein bisschen snobistisch sein, und wir leben vielleicht auch hinterm Mond, aber keiner, der den Souvenirs dient, wird sich am Ende seines

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