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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Tür. »Das habe ich inzwischen auch schon gemerkt«, sagte sie. »Und Fräulein Tick ist…?«
    »Sie reist durchs Land und sucht nach Mädchen, die für unser Handwerk Talent haben«, antwortete Tiffany. »Man sagt, dass einen die Hexenkunst ganz von allein findet. Und zwar normalerweise in Form von Fräulein Tick, die einem plötzlich von hinten auf die Schulter tippt. Sie ist eine Hexensucherin, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich nicht gern in ein Schloss begibt. Schlösser machen Hexen nervös. Du meine Güte!« Lätitia hatte eine Öllampe angezündet. Die gewaltige Bibliothek war voll mit Regalen, und alle Bücher, die darin standen, schimmerten. Es waren keine billigen, modernen Bücher, sondern in Leder gebundene Wälzer – und zwar nicht in irgendein Leder, sondern in das von klugen Kühen, die nach einem glücklichen Dasein auf den saftigsten Weiden ihr Leben für die Literatur hingegeben hatten. Die Bücher leuchteten auf, als Lätitia in dem Saal Lampe um Lampe anzündete und an langen Ketten hochzog, sodass sie leise unter der Decke hin und her schwangen. Der Schimmer der Bücher mischte sich mit dem Glanz der Messingbeschläge, bis der ganze Raum wie altes Gold erstrahlte.
    Lätitia freute sich sehr über Tiffanys sprachlose Verblüffung, das sah man ihr an. »Mein Urgroßvater war ein leidenschaftlicher Sammler«, sagte sie. »Siehst du die blank polierten Messingbeschläge? Die sind nicht zum Angeben, die sind für den Null-acht-Schrägstrich-fünfzehn-Bücherwurm, der so schnell ist, dass er sich im Bruchteil einer Sekunde durch eine ganze Regalreihe Bücher bohren kann. Ha, aber nicht, wenn er mit Schallgeschwindigkeit voll gegen eine massive Messingplatte knallt! Früher war die Bibliothek noch größer, aber mein Onkel Charlie hat sich mit einer ganzen Ladung Bücher einfach aus dem Staub gemacht. Sie handelten alle von… Ich glaube, es hieß Erotika, aber so genau weiß ich das auch nicht mehr. Auf den Landkarten kann ich es jedenfalls nicht finden. Mutter meint, Lesen macht die Leute zappelig. Entschuldige, aber was schnupperst du so? Hoffentlich ist hier drin nicht schon wieder eine Maus gestorben. «
    Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Bibliothek, dachte Tiffany. Sie spürte einen… Druck, eine… Spannung. Vielleicht war es das viele Wissen in den Büchern, das raus wollte. Sie hatte gehört, dass die Bücher in der Bibliothek der Unsichtbaren Universität angeblich ein Eigenleben besaßen. Sie waren so eng in Raum und Zeit zusammengepfercht, dass sie, wie man munkelte, des Nachts miteinander redeten, während Blitze von Buch zu Buch zuckten. Zu viele Bücher in einem Raum, wer weiß, was die alles anrichten konnten? Fräulein Tick hatte einmal zu ihr gesagt: »Wissen ist Macht, Macht ist Energie, Energie ist Materie, Materie ist Masse, und Masse verändert Zeit und Raum.« Aber Lätitia sah so glücklich aus zwischen den Regalen und Tischen, dass Tiffany es nicht übers Herz brachte, ihr die gute Laune zu verderben.
    Das Mädchen winkte sie zu sich herüber. »Und hier mache ich immer meine magischen Versuche«, sagte sie. Dabei klang sie so erwartungsvoll, als ob sie Tiffany ihr Puppenhaus zeigen wollte.
    Tiffany schwitzte; die feinen Härchen auf ihrer Haut hatten sich leise bebend aufgerichtet, für sie ein sicheres Zeichen, dass es höchste Zeit war, das Weite zu suchen. Währenddessen schnatterte Lätitia fröhlich vor sich hin, ohne zu bemerken, dass Tiffany gegen einen Brechreiz ankämpfte.
    Der Gestank war unbeschreiblich. Als wäre ein halb verwester Wal an die Oberfläche gestiegen, zum Bersten gefüllt mit Gasen und Fäulnis.
    Tiffany blickte verzweifelt um sich. Sie musste unbedingt dieses Bild loswerden. Frau Prust und Derek hatten mit Lätitia Souvenir gute Geschäfte gemacht. Sie besaß das gesamte Boffo-Sortiment, inklusive Warzen.
    »Aber bis jetzt begnüge ich mich mit den Warzen. Sie gehören irgendwie dazu und sind nicht so übertrieben. Findest du nicht auch?«, fragte sie.
    »Ich hab mich noch nie mit Warzen abgegeben«, antwortete Tiffany matt.
    Lätitia zog das Näschen kraus. »Was für ein Gestank! Du musst entschuldigen. Ich glaube, das sind die Mäuse. Sie fressen den Leim aus den Büchern. Aber diesmal haben sie anscheinend ein besonders schwer verdauliches Exemplar erwischt.«
    Tiffany hielt es in der Bibliothek kaum noch aus. Es war wie … Womit konnte man das Gefühl vergleichen? Als wäre man mitten in der Nacht aufgewacht, um

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