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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Lebens jemals sein Essen zusammenbetteln müssen.«
    Endlich reagierte der störrische Knauf, die Tür ging auf, und vor ihnen lag ein langer Gang – dort roch es irgendwie … es roch… irgendwie alt . Anders ließ es sich nicht beschreiben, es sei denn, man hätte genug Zeit, um darüber nachzudenken. Dann würde man wahrscheinlich sagen, es war eine Geruchsmischung aus trockenem Schimmelpilz, modrigem Holz, Staub, Mäusen, toter Zeit und alten Büchern, die ein ganz eigenes faszinierendes Aroma verströmen. Genau das ist’s, dachte Tiffany. Hier waren die Tage und Stunden still und leise verschieden, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommen hatte.
    Lätitia ertastete auf einem Bord hinter der Tür eine Lampe und zündete sie an. »Heutzutage bin ich die Einzige, die noch in diesen Teil des Schlosses kommt«, sagte sie. »Weil es hier Gespenster gibt.«
    »Ja«, stellte Tiffany möglichst nüchtern fest. »Zum Beispiel eine kopflose Frau mit einem Kürbis unterm Arm. Sie kommt gerade genau auf uns zu.«
    Was hatte sie erwartet? Einen Schreckensschrei? Oder Tränen? Mit Sicherheit nicht, dass Lätitia sagte: »Das ist Mavis. Ich muss ihr unbedingt einen neuen Kürbis geben, wenn die Ernte reif ist. Früher oder später werden die Dinger unappetitlich.« Sie hob die Stimme. »Ich bin’s bloß, Mavis. Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Mit einem Geräusch, das an ein Seufzen erinnerte, drehte sich die Kopflose um und glitt wieder zurück durch den Gang.
    »Der Kürbis war meine Idee«, fuhr Lätitia im Plauderton fort. »Vorher war sie nicht zum Aushalten. Sie hat die ganze Zeit nach ihrem Kopf gesucht. Der Kürbis spendet ihr ein bisschen Trost. Außerdem glaube ich ehrlich nicht, dass sie den Unterschied noch merkt, die arme Seele. Sie wurde übrigens nicht hingerichtet, und ich glaube, sie möchte, dass jeder das weiß. Es war nur ein kurioser Unfall mit einer Treppe, einer Katze und einer Sense.«
    Ist das noch dieselbe Lätitia, die sonst beim geringsten Anlass vor Tränen zerfließt?, dachte Tiffany. Andererseits ist sie in diesem Schloss zu Hause. Laut fragte sie: »Hast du noch mehr Gespenster auf Lager, falls ich mir noch mal vor Angst in die Hose machen möchte?«
    »Momentan eigentlich nicht«, antwortete Lätitia und marschierte voran. »Das kreischende Gerippe hat aufgehört zu kreischen, seit ich ihm einen alten Teddybären geschenkt habe, auch wenn ich nicht genau weiß, wieso das funktioniert hat. Und, ach ja, der Geist des ersten Herzogs spukt heutzutage ausschließlich in der Toilette neben dem Speisesaal, den wir nur sehr selten benutzen. Er hat die Angewohnheit, im unpassendsten Moment die Spülung zu betätigen, aber das ist immer noch besser als die Ströme von Blut, die er früher hat regnen lassen.«
    »Du bist eine Hexe.« Die Worte kamen Tiffany ganz von selbst über die Lippen. Sie hielten es in ihrem Kopf einfach nicht mehr aus.
    Lätitia sah sie erstaunt an. »Red keinen Quatsch«, sagte sie. »Wir kennen doch beide die Regeln, oder nicht? Langes blondes Haar, schneeweiße Haut, von einigermaßen edlem Geblüt und reich – zumindest auf dem Papier. So jemand taugt nur für die Rolle der Prinzessin.«
    »Weißt du was?«, sagte Tiffany. »Vielleicht ist es falsch, seine Zukunft von einem Märchen abhängig zu machen. Wer zur Sorte Prinzessin gehört, hilft normalerweise keinem kopflosen Geist, indem er ihm einen Kürbis schenkt. Noch mehr imponiert mir, dass du das kreischende Gerippe mit einem Teddy vom Kreischen geheilt hast. Oma Wetterwachs nennt so etwas Kopfologie. Die Hexerei besteht hauptsächlich aus Kopfologie. Aus Kopfologie und Hokuspokus.«
    Lätitia sah gleichermaßen verwirrt wie dankbar aus, und ihr weißes Gesicht bedeckte sich mit rosa Flecken. Tiffany musste zugeben, dass es das ideale Gesicht war, um damit an einem Turmfenster zu sitzen und auf einen Ritter zu warten, der nichts Besseres zu tun hatte, als dieses Antlitz und dessen Trägerin vor Drachen und Ungeheuern zu retten – oder im Notfall auch vor Langeweile.
    »Du brauchst überhaupt nichts dafür zu tun«, sagte Tiffany. »Der spitze Hut ist nicht vorgeschrieben. Aber wenn Fräulein Tick jetzt da wäre, würde sie dir unbedingt raten, dich beruflich in diese Richtung zu orientieren. Für eine Hexe ist es nicht gut, ganz auf sich allein gestellt zu sein.«
    Sie waren am Ende des Gangs angekommen. Lätitia drehte den nächsten knirschenden Knauf, der genauso widerspenstig war wie die dazugehörige

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