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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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verstand. Wieder wurde das Buch von einem Schlag erschüttert, der Deckel wölbte sich, und sie wäre fast umgerissen worden. Als der nächste Stoß kam, warf sie sich darüber und begrub es mit ihrem ganzen Gewicht unter sich.
    Feuer, dachte sie. Er hasst Feuer! Aber ich glaube nicht, dass ich mit dem Buch sehr weit käme. Und in einer Bibliothek kann man doch auch kein Feuer legen, das geht einfach nicht. Außerdem war das ganze hochherrschaftliche Gemäuer zundertrocken.
    »Will da irgendwas raus aus dem Buch?«, fragte Lätitia.
    Tiffany blickte hoch, in ihr rosafleckiges weißes Gesicht. »Ja«, ächzte sie und rang den sich aufbäumenden Wälzer erneut nieder.
    »Hoffentlich ist es nicht so einer wie dieser Kobold aus dem Märchenbuch. Ich hatte immer solche Angst, dass er zwischen den Seiten hervorkriechen würde.«
    Das Buch machte einen Satz und knallte mit solcher Wucht wieder auf den Tisch, dass Tiffany die Luft wegblieb. »Ich glaube, der hier ist noch viel, viel schlimmer als der Kobold!«, brachte sie hervor. Als unser Kobold, dachte sie plötzlich, eine Erinnerung, auf die sie gut hätte verzichten können. Sie besaßen schließlich das gleiche Märchenbuch. Auch wenn es nicht viel taugte und man irgendwann aus der Angst vor den lächerlichen Bildern herauswuchs, ganz vergaß man sie nie.
    Anscheinend ging es jedem so. Als sie Petulia einmal von ihrer Angst vor einem Bild erzählt hatte, gestand diese ihr, sie hätte als kleines Kind selbst furchtbare Angst vor einem lustigen Skelett in einem Bilderbuch gehabt. Nach und nach stellte sich heraus, dass alle anderen Mädchen ganz ähnliche Erinnerungen hatten. Es schien eine Grunderfahrung des Lebens zu sein: Bücher mussten einem erst einmal Angst einjagen.
    »Warte, ich hab eine Idee«, sagte Lätitia. »Kannst du es kurz ablenken? Ich bin gleich wieder da.« Schon war sie verschwunden. Als Tiffany nach einigen langen Sekunden ein leises Quietschen vernahm, beachtete sie es nicht weiter, denn sie hatte inzwischen ganz andere Probleme. Die Arme, mit denen sie das bockende Buch fest umklammert hielt, waren glühend heiß. Doch dann hörte sie plötzlich Lätitia hinter sich: »Pass auf, ich bring dich zur Buchpresse. Wenn ich jetzt sage, schiebst du es rein und nimmst sofort die Hände weg. Das muss wirklich ruck, zuck gehen!«
    Tiffany wurde herumgedreht und Schritt für Schritt zu einem eisernen Gerät geführt, das in einer dunklen Ecke stand. Unterdessen wütete der Wälzer wie verrückt und schlug ihr heftig gegen die Brust; es war, als hielte sie ein pochendes Elefantenherz in Händen.
    So laut war die Gegenwehr des Buches, dass Tiffany über den Lärm kaum verstand, was Lätitia schrie: »Leg das Buch auf die Platte! Schieb es ein Stück nach vorne, und dann zieh die Finger raus – und zwar jetzt !«
    Tiffany nahm noch eine Kurbelbewegung wahr, und dann ging alles blitzschnell. Unmittelbar bevor die zweite Eisenplatte auf das Buch herunterkrachte und dabei die Spitzen von Tiffanys Fingernägeln abknipste, schob sich eine Hand aus dem Deckel, und Tiffany hätte sich vor Angst wirklich fast in die Hose gemacht.
    »Hilfst du mir mit der Schraube? Wir müssen sie so fest wie möglich anziehen.« Lätitia lehnte auf… ja, worauf eigentlich? »Das ist die alte Buchpresse meines Großvaters«, erklärte sie. »Damit hat er immer die beschädigten Bücher repariert. Wenn zum Beispiel eine rausgefallene Seite wieder eingeklebt werden musste. Wir haben sie kaum noch in Gebrauch, höchstens an Swinvater. Sie ist sehr praktisch, um Walnüsse zu knacken, ohne sie zu zerdrücken. Siehst du? Man braucht bloß die Kurbel zu drehen, bis sie aufspringen. Sie sehen aus wie kleine menschliche Gehirne.«
    Tiffany riskierte einen Blick auf die Presse, die das Buch fest im Klammergriff hielt, um zu sehen, ob etwa menschliche Gehirnmasse herausquoll. Da quoll nichts, aber das nützte jetzt auch nicht mehr viel, denn genau in diesem Moment kam ein kleines menschliches Skelett aus der Wand, ging durch die Regale hindurch, als wären sie aus Rauch, und verschwand wieder. Es hielt einen Teddy im Arm. Das war einer dieser Anblicke, die das Gehirn unter der Kategorie »Dinge, die ich lieber nicht gesehen hätte« abspeichert.
    »War das ein Geist?«, fragte Lätitia. »Nicht das Gerippe, von dem hab ich dir ja schon erzählt. Das arme Kerlchen. Nein, ich meine den anderen. Den aus dem Buch …«
    »Tja, wie soll ich sagen? Der ist eher eine Krankheit oder auch so etwas wie

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