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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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erwies sich als durchaus komfortabel; Bauernkaten haben normalerweise kein Gästezimmer, und eine Hexe, die in einem solchen Häuschen beruflich zu tun hatte, weil sie zum Beispiel Geburtshilfe leisten musste, konnte sich glücklich schätzen, wenn sich im Kuhstall ein Platz für sie fand. Sehr glücklich sogar. Denn oft roch es im Stall viel besser als im Haus. Außerdem war Tiffany nicht die Einzige, die fand, dass der warme, nach Gras duftende Atem einer Kuh ohne Weiteres mit einem Heilmittel vergleichbar war.
    Die Ziegen im Verlies waren aber fast genauso gut. Während sie in aller Seelenruhe ihr Abendessen wieder- und wiederkäuten, behielten sie Tiffany die ganze Zeit im Auge, als würde sie jeden Moment einen Jongliertrick vorführen oder eine flotte Tanznummer mit Gesang aufs steinerne Parkett legen.
    Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, dass die Tiere von jemandem gefüttert worden sein mussten und dass dieser Jemand nun vermutlich wusste, dass sich die Gefangene verkrümelt hatte. Dann konnte sie sich schon mal auf den nächsten Ärger gefasst machen. War es möglich, noch tiefer in die Patsche zu geraten? Sie konnte es sich kaum vorstellen – beziehungsweise gar nicht mehr. Denn als sie ungefähr eine Stunde später aufwachte, hatte sie jemand zugedeckt. Was ging hier vor?
    Die Antwort darauf bekam sie, als Preston mit dem Frühstückstablett erschien: Eier mit Speck. Die Eier hatten einen leichten Kaffeegeschmack, weil ihm auf der langen Treppe die Tasse übergeschwappt war. »Von Seiner Hochwohlgeboren«, verkündete er grinsend. »Mit seinen besten Empfehlungen und einer Entschuldigung. Er lässt ausrichten, dass er Ihnen, falls Ihnen der Sinn danach steht, in der schwarz-weißen Kammer gern ein heißes Bad herrichten lässt. Und wenn Sie gefrühstückt haben, möchte Sie der Baron … der neue Baron, in seiner Studierstube sprechen.«
    Ein heißes Bad – wie verführerisch das klang. Aber Tiffany wusste, dass sie dafür keine Zeit haben würde. Und wenn es auch nur ein halbwegs anständiges Bad werden sollte, müssten die armen Mägde jede Menge schwere Eimer vier oder fünf Etagen nach oben schleppen. Eine Katzenwäsche in der Waschschüssel musste genügen, falls sich die Gelegenheit dazu bot 26 . Ausgehungert machte sie sich über das Frühstück her. Während sie mit einem Stück Brot die letzten Reste vom Teller wischte, nahm sie sich vor, sich später – falls dies tatsächlich ein Seid-nett-zu-Tiffany-Tag werden sollte – noch eine Portion geben zu lassen.
    Dankbarkeit musste man schmieden, solange sie noch warm war. Darin waren Hexen Expertinnen. Schon nach ein, zwei Tagen ließ das Gedächtnis der Leute merklich nach. Die Augen, mit denen Preston Tiffany beim Essen zusah, waren die eines Jungen, der zum Frühstück nur gesalzenen Haferbrei bekommen hatte. Als sie fertig war, fragte er vorsichtig: »Darf ich Sie jetzt zum Baron bringen?«
    Er sorgt sich um mich, dachte Tiffany. »Vorher möchte ich gern zum alten Baron«, antwortete sie.
    »Der ist immer noch tot«, klärte Preston sie mit ernster Miene auf.
    »Na, immerhin ein Trost«, sagte Tiffany. »Das hätte sonst ganz schön peinlich werden können.« Sie lächelte den verwirrten Jungen an. »Morgen wird er bestattet, deshalb muss ich heute noch zu ihm, Preston. Als Allererstes. Können wir? Er ist jetzt wichtiger als sein Sohn.«
    Von Blicken verfolgt und mit Preston, der kaum mithalten konnte, im Schlepptau, marschierte Tiffany im Sturmschritt durch die Burg und hinunter in die Gruft. Weil er sie immer freundlich und mit Respekt behandelt hatte, tat es ihr doch ein bisschen leid, dass er sich so abhetzen musste, aber es sollte keinesfalls jemand auf den Gedanken kommen, sie würde wie eine Gefangene von einer Wache eskortiert. Mit diesem Unsinn musste es ein für alle Mal ein Ende haben. Die Blicke der Burgbewohner wirkten eher angstvoll als wütend, doch sie wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war.
    Am Fuß der Treppe atmete sie tief ein. Nur der übliche Gruftduft, kühl mit einem Hauch von Kartoffeln. Sie belohnte sich mit einem kleinen Lächeln. Der Baron lag genauso friedlich da, wie sie ihn verlassen hatte, die Hände auf der Brust gefaltet, sodass man hätte meinen können, er schliefe.
    »Die dachten, ich hätte hier unten Hexerei betrieben, nicht wahr, Preston?«
    »Ja, Fräulein. Es wurde so was gemunkelt.«
    »Und sie hatten Recht damit. Deine Großmutter hat dir gezeigt, wie man Tote besorgt, nicht wahr? Dann

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