Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
Lücke!«
    »Nein, ich bestehe darauf«, sagte Lätitia. »Außer mir benutzt die Bibliothek doch sowieso keiner. Meine Mutter bewahrt die Bücher über unsere Familiengeschichte, Ahnenforschung und Wappenkunde in ihren Gemächern auf, und sie ist auch die Einzige, die sich dafür interessiert. Sonst kommt heutzutage nur noch Herr Ziegler hierher. Ich glaube fast, ich höre ihn schon. Er macht seinen letzten nächtlichen Kontrollgang. Er ist sehr alt und langsam«, fügte sie hinzu. »Für eine Nachtwächterrunde braucht er eine ganze Woche, die Tage nicht eingerechnet, weil er da schläft. Los, schnell. Wir wollen doch nicht, dass ihn der Schlag trifft, wenn er tatsächlich mal jemandem begegnet.«
    Tatsächlich war in einiger Entfernung das unverkennbare Quietschen eines Türknaufs zu vernehmen.
    Lätitia senkte die Stimme. »Hast du was dagegen, wenn wir einen anderen Ausgang nehmen? Ich möchte ihn nicht erschrecken.«
    Ein Licht kam durch den langen Korridor auf sie zu gewandert, allerdings musste man schon ziemlich lange hinschauen, um zu erkennen, dass es sich bewegte. Lätitia öffnete die Tür nach draußen, und sie liefen über eine Wiese, die ein Rasen hätte sein können, wenn sie in den letzten zehn Jahren mal gemäht worden wäre. Tau lag auf dem Gras und die Verheißung eines neuen Tages in der Luft. Kaum hatten sie den Besen erreicht, rannte Lätitia mit einer gemurmelten Entschuldigung noch einmal in das schlafende Schloss zurück und schleppte fünf Minuten später eine große Tasche an. »Mein Trauerkleid«, erklärte sie, als sich der Besen in die lauen Lüfte erhob. »Übermorgen wird der Baron bestattet, der Arme. Meine Mutter hat ihre Beerdigungssachen auf Reisen immer dabei. Sie sagt, man könne ja schließlich nie wissen, wann irgendwo einer tot umfällt.«
    »Eine sehr interessante Einstellung, Lätitia, aber wenn wir wieder auf der Burg sind, möchte ich, dass du Roland beichtest, was du gemacht hast. Alles andere ist mir egal, aber du musst ihm bitte die Sache mit dem Zauber erzählen. « Tiffany wartete. Lätitia saß hinter ihr und… blieb stumm. Sehr stumm. So stumm, dass man es hören konnte.
    Tiffany betrachtete die Landschaft, die unter ihr dahinglitt. Hier und da stieg der Rauch von Küchenfeuern aus den Schornsteinen auf, obwohl die Sonne noch nicht über den Horizont emporgestiegen war. Die Dorffrauen lieferten sich immer ein Wettrennen um den ersten Rauch, denn er bewies, dass man eine fleißige Hausfrau war. Sie seufzte. Das Problem mit dem Ritt auf einem Besen war, dass man auf die anderen hinuntersah. Man konnte nichts dagegen machen, auch wenn man sich noch so bemühte. Von oben sahen die Menschen aus wie hin und her wuselnde Pünktchen. Spätestens wenn einem solche Gedanken durch den Sinn gingen, wurde es Zeit, mal wieder unter Hexen zu kommen – um sich den Kopf geraderücken zu lassen. Keine Hexe soll allein sein , so lautete der alte Spruch. Er war weniger ein Rat als eine Aufforderung.
    Hinter ihr sagte Lätitia mit einer Stimme, die so klang, als ob sie jedes Wort einzeln auf die Goldwaage gelegt hätte: »Warum bist du nicht wütender auf mich?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, du weißt schon! Nach allem, was ich dir angetan habe! Du bist so furchtbar … nett!«
    Tiffany war froh, dass Lätitia ihr Gesicht nicht sehen konnte – und umgekehrt.
    »Hexen werden nicht oft wütend. Rumzuschreien bringt einen meistens nicht voran.«
    Nach einer weiteren Pause sagte Lätitia: »Wenn das stimmt, habe ich vielleicht doch nicht das Zeug zur Hexe. Ich kann mich nämlich manchmal ganz schön aufregen.«
    »Ach, das Gefühl kenne ich natürlich auch«, antwortete Tiffany. »Aber ich packe meine Wut dann einfach so lange weg, bis ich sie vielleicht irgendwann mal brauchen kann. Das ist die Sache mit der Hexerei – und auch mit der Zauberei, wenn ich’s mir recht überlege. Normalerweise kommen wir ganz gut ohne Magie aus, aber wenn wir sie doch mal anwenden, dann meistens an uns selber. Guck, da vorne ist schon die Burg. Ich setze dich auf dem Dach ab. Ich bin schon sehr gespannt, wie bequem es sich im Stroh schlafen lässt.«
    »Es tut mir wirklich sehr, sehr – «
    »Ich weiß. Das sagtest du schon. Ich nehm’s dir nicht krumm, aber die Suppe, die du dir eingebrockt hast, musst du schon selber wieder auslöffeln. Das gehört zur Hexerei auch dazu, unbedingt.« Und im Stillen fügte sie hinzu: Davon kann ich ein Liedchen singen!

12
    Die Mutter aller Sünden
    Das Stroh

Weitere Kostenlose Bücher