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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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zurück in den Rittersaal. Roland war jetzt der Baron, in jeder Hinsicht, und das sah man auch. Er wurde von Leuten umringt, die Sachen sagten wie: »Er war ein so guter Mensch«, »Er hatte ein langes, erfülltes Leben«, »Gut, dass er nicht leiden musste« und all die anderen Sachen, die man nach einer Beerdigung sagt, wenn man nicht weiß, was man sagen soll.
    Während Tiffany zielstrebig auf ihn zusteuerte, landete plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Sie blieb stehen und sah an dem Arm entlang, bis ihr Blick im Gesicht von Nanny Ogg landete, die sich die größte Flasche Ale gesichert hatte, die Tiffany je gesehen hatte – und die nur noch halb voll war.
    »Schöne Zeremonie, so was sieht man immer gern«, sagte Nanny Ogg. »Ich hab den alten Knaben ja leider nicht gekannt, aber er scheint mir doch ein anständiger Kerl gewesen zu sein. Schön, dich zu sehen, Tiff. So weit alles in Ordnung?«
    Tiffany blickte in die unschuldig lächelnden Augen und an ihnen vorbei in das wesentlich strengere Gesicht von Oma Wetterwachs und auf ihre Hutkrempe. Tiffany verneigte sich.
    Oma Wetterwachs räusperte sich. Es klang wie knirschender Kies. »Wir sind nicht beruflich hier, mein Kind. Wir wollten nur dem König zu einem wirkungsvollen Auftritt verhelfen.«
    »Wir sind auch nicht wegen dem Tückischen hier«, sagte Nanny Ogg fröhlich. Oma Wetterwachs schnaubte missbilligend, weil es sich so anhörte, als hätte sie sich verplappert. Dabei waren die dummen oder peinlichen Bemerkungen, die Nanny Ogg schon mal versehentlich herausrutschen konnten, meist im Vorhinein gründlich durchdacht. Tiffany wusste das, und Nanny wusste mit Sicherheit, dass Tiffany es wusste, was Tiffany ebenfalls wusste. So etwas war typisch für den Umgang der Hexen miteinander, und es funktionierte auch ganz wunderbar, solange keine zur Axt griff.
    »Ich weiß, dass dieses Problem mein Problem ist. Und ich werde es lösen«, sagte sie.
    Keine besonders kluge Bemerkung, wie man meinen sollte. Denn natürlich wäre es sehr hilfreich, die älteren, erfahreneren Hexen an ihrer Seite zu haben. Aber wie würde das aussehen? Das Kreideland war ein neues Revier, und sie hatte schließlich auch ihren Stolz.
    Man konnte auch nicht einfach sagen: »Ich habe doch schon früher Schwierigkeiten und Gefahren bewältigt«, denn das wurde stillschweigend vorausgesetzt. Wichtig war nur, was man heute leistete. Es war eine Sache des Stolzes. Es war eine Sache des Formats.
    Und auch eine Sache des Alters. Wenn sie in zwanzig Jahren um Hilfe bäte, würde es möglicherweise heißen: Na ja, selbst eine erfahrene Hexe kann mal auf ein ungewöhnliches Problem stoßen. Und man würde ihr selbstverständlich beispringen. Doch wenn sie es heute täte? Tja … man würde ihr auch helfen. Hexen halfen einander immer. Aber alle würden denken: Taugt sie überhaupt was? Hat sie kein Stehvermögen? Ist sie auf Dauer stark genug? Sagen würde es niemand, aber alle würden es denken.
    Dies alles schoss Tiffany in nur einer Sekunde durch den Kopf, und als sie das nächste Mal blinzelte, beobachteten die Hexen sie.
    »Selbstvertrauen ist einer Hexe bester Freund«, sagte Oma Wetterwachs mit gestrenger Miene.
    Nanny Ogg nickte zustimmend und fügte hinzu: »Auf dein Selbstvertrauen kannst du stets vertrauen, das war schon immer meine Rede.« Sie lachte, als sie Tiffanys Gesicht sah. »Glaubst du denn, du wärst die Einzige, die es mit dem Tückischen aufnehmen muss, Spätzchen? Als Oma in deinem Alter war, hatte sie es auch mit ihm zu tun. Sie hat ihn abserviert. Und zwar ruck, zuck!«
    Obwohl Tiffany klar war, dass sie sich die Mühe sparen konnte, wandte sie sich trotzdem Oma Wetterwachs zu und fragte: »Können Sie mir vielleicht irgendwelche Tipps geben, Frau Wetterwachs?«
    Oma, die bereits auffällig unauffällig in Richtung Mittagsbüffet strebte, drehte sich kurz um und antwortete: »Vertrau dir selbst.« Sie ging ein paar Schritte weiter, blieb gedankenverloren stehen und fügte hinzu: »Und sieh zu, dass du nicht den Kürzeren ziehst.«
    Nanny Ogg klatschte Tiffany auf den Rücken. »Hab den Lumpenhund nie persönlich kennengelernt, aber nach allem, was man so hört, muss er ja ein ziemlich fieser Kerl sein. Sag mal, schmeißt die holde Braut heute Nacht eigentlich einen Junggesellinnenabschied?« Augenzwinkernd jagte sich die alte Dame den Rest der Aleflasche durch die Kehle.
    Tiffany überlegte blitzschnell. Nanny Ogg kam mit jedem gut aus. Zwar hatte Tiffany nur eine

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