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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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dahinter; jemand sorgte sich um sie. In ihrem Traum wütete das Feuer. Eine dunkle Gestalt zog die Flammen wie einen Vorhang beiseite, und zu ihren Füßen saß eine Häsin, zutraulich wie ein Haustier. Die Häsin fing Tiffanys Blick auf und sprang ins Feuer. Tiffany fiel es wie Schuppen von den Augen.
    Ein Klopfen. Tiffany war sofort hellwach. »Ja bitte?« Auf der anderen Seite der schweren Tür fragte eine Stimme: »Was für ein Geräusch macht das Vergessen?«
    Sie brauchte kaum nachzudenken. »Wie der Wind in welken Gräsern an einem heißen Sommertag.«
    »Ja, das könnte hinhauen«, sagte Prestons Stimme hinter der Tür. »Vermutlich noch begleitet vom zarten Klappern der Samenkapseln. Ja, das dürfte es sein. Aber ich komme lieber gleich zur Sache, Fräulein. Unten sind jede Menge Leute. Ich glaube, sie brauchen ihre Hexe.«
     
    Ein guter Tag für eine Beerdigung, dachte Tiffany, als sie aus dem schmalen Burgfenster sah. Bei einer Bestattung sollte es nicht regnen. Der Regen machte die Menschen zu traurig. Sie versuchte immer, sich eine Beerdigung nicht allzu sehr aufs Gemüt schlagen zu lassen. Man lebte, man starb, man lebte in der Erinnerung weiter. Genauso natürlich, wie der Winter auf den Sommer folgt. Daran war nichts auszusetzen. Natürlich gab es Tränen, aber die waren für die Hinterbliebenen; die Verstorbenen bedurften ihrer nicht.
    Die Bediensteten waren schon fleißig gewesen und hatten im Rittersaal für alle Gäste lange Frühstückstafeln aufgebaut. So verlangte es die Tradition. Ob reich oder arm, ob Herr oder Dame: Das Beerdigungsfrühstück war für alle da, und aus Respekt vor dem alten Baron – wie aus Respekt vor einem anständigen Frühstück – war der Saal bereits gut gefüllt. Die Herzogin trug ein schwarzes Kleid, schwärzer als jedes Schwarz, das Tiffany je gesehen hatte. Es schimmerte vor Schwärze. Das schwarze Kleid einer normalen Durchschnittshexe war meistens nur theoretisch schwarz. In Wahrheit war es oft ziemlich staubig, hatte im Kniebereich Flicken, war an den Säumen ausgefranst und insgesamt vom vielen Waschen fast zerschlissen. Es war, was es war: eine Arbeitskluft. Undenkbar, dass die Herzogin in einem Kleid wie ihrem ein Kind auf die Welt holte … Tiffany blinzelte. Doch, es war denkbar. Wenn Not am Mann wäre (beziehungsweise an der Frau), würde sie keine Sekunde zögern. Sie würde schimpfen, ihre Umgebung schikanieren und rumkommandieren, aber sie würde es tun. Sie war der Typ dafür.
    Tiffany blinzelte noch einmal. Ihr Kopf war vollkommen klar. Die Welt kam ihr begreifbar vor, wenn auch etwas zerbrechlich, so als könnte man sie wie eine Spiegelkugel zerschmettern.
    »Morgen, Fräulein!« Das war Amber, die beiden Mickers hinter sich. Herr Micker, gewaschen und gestriegelt, wirkte verlegen und sogar ein wenig schüchtern. Man sah ihm an, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Tiffany ging es nicht anders.
    Am Eingang wurde es unruhig. Roland eilte hinüber und führte wenig später König Verence von Lancre und Magrat, seine Königin, herein. Tiffany kannte die beiden schon von früher. In Lancre ließ es sich nicht vermeiden, dass man sich über den Weg lief. Es war ein sehr kleines Königreich – das einem gleich noch viel kleiner vorkam, wenn man sich in Erinnerung rief, dass dort auch Oma Wetterwachs wohnte.
    Oma Wetterwachs war ebenfalls gekommen, hier und jetzt war sie da . Du 29 wie einen Schal über die Schultern gelegt, betrat sie hinter dem König und der Königin den Saal, unmittelbar gefolgt von einer lauten, fröhlichen Stimme, die »Hallöchen, Tiff! Na, alles knusprig?« rief — ein Gruß, welcher der aus Gründen der Körpergröße noch unsichtbaren Besitzerin des Organs hurtig vorauseilte. Er kam von Nanny Ogg, von der so manche munkelten, sie wäre noch klüger als Oma Wetterwachs. Auf jeden Fall war sie klug genug, ihre verehrte Kollegin das nicht merken zu lassen.
    Tiffany begrüßte die beiden nach altem Brauch mit einer Verbeugung. Aha, dachte sie, sie versammeln sich also schon. Mit einem Lächeln sagte sie zu Oma Wetterwachs: »Es ist mir eine große Freude, aber auch eine kleine Überraschung, Sie hier zu sehen, Frau Wetterwachs.«
    Oma starrte sie nur schweigend an, aber Nanny Ogg sagte: »Ist eine lange, holprige Strecke von Lancre bis hierher, deshalb haben wir Magrat und ihrem König eine Mitfluggelegenheit angeboten.«
    Schon möglich, dass Tiffany sich das nur einbildete, aber für sie klang Nanny Oggs Erklärung

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