Das Mitternachtskleid
Gekicher kann einem auf die Dauer ganz schön die Stimmbänder angreifen. Ich tüftel auch schon an einer Version zum Aufziehen. Sag mir Bescheid, wenn du den Witz verstanden hast.«
»Wer sind Sie?«, platzte es aus Tiffany heraus.
Die Hexe stellte das Kästchen beiseite. »Ach Gottchen«, sagte sie. »Wo hab ich nur meine Manieren gelassen?«
»Keine Ahnung«, antwortete Tiffany, die mit ihrer Geduld langsam am Ende war. »Vielleicht ist der Aufziehmechanismus abgelaufen?«
Die Hexe präsentierte ein schwarzgebissiges Grinsen. »Ganz schön pfiffig. Das mag ich an einer Hexe – in Maßen.« Sie streckte ihr die Klaue hin. »Frau Prust.«
Tiffany schlug ein. Der Händedruck fiel weniger klamm aus, als sie befürchtet hatte. »Tiffany Weh«, sagte sie. »Guten Tag.« Und weil ihr das selbst ein bisschen maulfaul vorkam, fügte sie hinzu: »Ich habe bei Fräulein Verrat gearbeitet. «
»Oh ja, eine hervorragende Hexe«, sagte Frau Prust. »Und eine gute Kundin. Wenn ich mich recht erinnere, hatte sie eine besondere Vorliebe für Warzen und Totenköpfe.« Sie schmunzelte. »Und weil du mir nicht so aussiehst, als ob du dich für ein lustiges Schnepfentreffen mal so richtig schön hexenmäßig in Schale werfen möchtest, gehe ich davon aus, dass du meine Hilfe brauchst. Die Tatsache, dass dein Besen nur noch halb so viele Borsten besitzt, wie er für seine aerodynamische Stabilität bräuchte, bestätigt meine Vermutung. Nebenbei bemerkt, hast du den Witz schon verstanden? «
Was sollte sie sagen? »Ich glaube schon.«
»Und? Schieß los.«
»Erst wenn ich mir völlig sicher bin.«
»Sehr vernünftig«, sagte Frau Prust. »Na, dann wollen wir mal zusehen, dass wir deinen Besen repariert kriegen. Dafür müssen wir aber ein paar Schritte gehen, und wenn ich du wäre, würde ich den schwarzen Hut lieber hierlassen. «
Instinktiv fasste sich Tiffany an die Krempe. »Warum?«
Frau Prust runzelte so sehr die Stirn, dass ihre Hakennase fast an ihr Kinn tippte. »Weil es dir sonst vielleicht passieren kann … Ach, ich weiß schon, was wir machen.« Sie kramte irgendetwas von der Werkbank und machte sich hinten an Tiffanys Hut zu schaffen. »Na also«, sagte sie. »Jetzt fällst du nicht mehr so auf. Tut mir leid, aber Hexen sind zurzeit nicht gerade beliebt. Am besten beeilen wir uns mit der Reparatur, nur für den Fall, dass du überstürzt aufbrechen musst.«
Tiffany riss sich den Hut vom Kopf und begutachtete, was Frau Prust ihr ans Hutband geheftet hatte. Es war ein buntes Pappschildchen an einem Bindfaden, auf dem stand: » Hexenhut mit Flitterglitter. Größe 7. Preis AM$ 2,50. Boffo! Ein Name, der verzaubert!!!
»Was soll das denn?«, rief sie. »Und Glitter haben Sie mir auch noch draufgestreut!«
»Das ist deine Tarnung«, antwortete Frau Prust.
»Wie bitte? Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass eine Hexe, die etwas auf sich hält, mit einem solchen Hut vor die Tür gehen würde«, empörte sich Tiffany.
»Natürlich nicht«, sagte Frau Prust. »Aber die beste Tarnung für eine Hexe ist ein billiger Hexenfummel! Oder meinst du, eine echte Hexe würde ihre Kleidung in einem Laden kaufen, der ansonsten künstlichen Hundekot, Stinkbomben und Tischfeuerwerk, aberwitzige Perückenungetüme und – unser größter Renner – aufblasbare rosa Schniedelwutze für den ausgelassenen Junggesellinnenabschied anbietet? Nie im Leben! Das ist alles Boffo, mein Kind, alles Hokuspokus! Tricks, Tarnung, Täuschung — so lautet unsere Devise. Beziehungsweise, unsere Devisen. Genau wie Ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis . Und, ganz wichtig, Umtausch unter allen Umständen ausgeschlossen , und natürlich Kurzer Prozess mit Ladendieben . Außerdem haben wir noch eine Devise für Leute, die im Laden rauchen, aber die brauchst du dir nicht zu merken.«
»Wie bitte?«, sagte Tiffany, die Frau Prusts Liste an Devisen gar nicht mitbekommen hatte, weil sie fassungslos die von der Decke hängenden rosa ›Ballons‹ angestarrt hatte. »Ich dachte, das wären Ferkel!«
Frau Prust tätschelte ihr die Hand. »Willkommen in den Abgründen und Untiefen der Großstadt, mein Kind. Können wir?«
» Warum sind Hexen momentan so unbeliebt?«, fragte Tiffany.
»Man kann sich nicht vorstellen, auf was für Ideen die Leute mitunter kommen«, sagte Frau Prust. »Da ist es am ratsamsten, man verhält sich unauffällig und wartet ab, bis sich das Problem von selber gelöst hat. Man muss nur ein bisschen auf der Hut
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