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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sprühten Feuer. Oma Wetterwachs konnte zwar auch furchteinflößend sein, aber sie sah für ihre Verhältnisse wenigstens gut aus. Frau Prust dagegen war die böse Hexe aus dem Märchenbuch, das Gesicht ein Fluch, die Stimme das Zuknallen der Ofentür. Die Summe aller nächtlichen Ängste auf Erden.
    »Hört, hört, das weiß die kleine Hexe in ihrem ach so hübschen Kleidchen also, ja? Aber was weißt du? Was weißt du wirklich ?« Sie trat einen Schritt zurück und kniff die Augen zusammen. »Mehr als ich dachte, wie mir scheinen will«, sagte sie und beruhigte sich wieder. »Land unter der Welle. Im Herzen der Kreide der Feuerstein. Ja, tatsächlich.«
     
    Tiffany hatte im Kreideland noch nie irgendwelche Zwerge gesehen, nur oben in den Bergen, wo sie immer mit ihren Karren unterwegs waren. Sie kauften und verkauften und fertigten für die Hexen Besen an. Sehr teure Besen. Andererseits kauften ihnen die Hexen aber auch kaum welche ab. Ein Besen war ein Erbstück, das von Hexe zu Hexe weitergereicht wurde. Mal brauchte er einen neuen Stiel, mal neue Borsten, aber im Grunde war und blieb er immer derselbe.
    Tiffany hatte ihren Besen von Fräulein Verrat geerbt. Er war unbequem und nicht sehr schnell, und bei Regen entwickelte er bisweilen die unangenehme Eigenart, rückwärts zu fliegen. Bei seinem Anblick schüttelte der Zwerg, der in der ohrenbetäubend lauten Werkstatt das Sagen hatte, den Kopf und sog schmatzend die Luft durch die Zähne — als wäre der Besen eine Zumutung, die ihm den ganzen Tag verdorben hätte, und als müsse er sich nun erstmal zum Heulen in eine Ecke verkriechen.
    »Mal wieder typisch Rüster«, knurrte er vorwurfsvoll.
    »Aber was will man von diesem Flachlandholz auch anderes erwarten? Schwer, lahm und ausgesprochen käferanfällig. Und der Besen wurde vom Blitz getroffen, sagen Sie? Bei Blitzschlag taugt das Holz sowieso nichts. Nach allem was man hört, soll Rüster die Blitze ja regelrecht anziehen. Und eulengefährdet ist er auch.«
    Tiffany nickte und setzte eine möglichst sachkundige Miene auf. Den Blitzschlag hatte sie erfunden, weil die Wahrheit zwar ein kostbares Gut war, in diesem Fall aber nur albern, peinlich und unglaubwürdig geklungen hätte.
    Hinter dem Vorarbeiter tauchte ein zweiter, fast identisch aussehender Zwerg auf. »Hätten Sie mal lieber Esche genommen. «
    »Stimmt«, sagte sein Kollege düster. »Mit Esche kann man nichts falsch machen.« Er tippte auf Tiffanys Besen und seufzte.
    »Am Anschlussstutzen sieht’s mir gefährlich nach beginnender Weißfäule durch Feuerschwamm aus«, unkte der zweite Zwerg.
    »Bei Rüster überrascht mich gar nichts«, sagte der erste.
    »Könnten Sie ihn nicht einfach so weit zusammenflicken, dass ich damit wieder nach Hause komme?«, fragte Tiffany.
    »Also, zusammengeflickt wird bei uns gar nichts«, antwortete der Vorarbeiter von oben herab – oder zumindest im übertragenen Sinne von oben. »Wir liefern Maßarbeit.«
    »Ich brauche doch bloß ein paar neue Borsten«, sagte Tiffany verzweifelt, und weil sie bereits vergessen hatte, dass sie den wahren Sachverhalt für sich behalten wollte, fügte sie hinzu: »Bitte! Ich kann doch nichts dafür, dass die Größten meinen Besen angezündet haben.«
    Bis zu dieser Sekunde hatten Dutzende von Zwergen hämmernd und scheppernd an ihren Werkbänken gearbeitet, ohne sich sonderlich für das Gespräch zu interessieren. Doch jetzt war es auf einen Schlag totenstill. Ein Hammer fiel zu Boden.
    Der erste Zwerg fragte: »Wenn Sie sagen ›die Größten‹, meinen Sie doch nicht etwa die Wir-sind-die-Größten , oder?«
    »Doch, genau die meine ich.«
    »Die wilden Kobolde? Die, die immer … Potzblitz rufen?«, hakte er vorsichtig nach.
    »Ja, genau. Das höre ich praktisch am laufenden Band«, antwortete Tiffany. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen fügte sie hinzu: »Sie sind meine Freunde.«
    »Was Sie nicht sagen«, entgegnete der Zwerg. »Und sind von Ihren kleinen Freunden jetzt auch welche hier?«
    »Eigentlich haben sie den Auftrag, einen Bekannten von mir zu finden«, erklärte Tiffany. »Aber ich vermute, sie hocken mittlerweile schon im Wirtshaus. Gibt es viele Wirtshäuser in der Stadt?«
    Die beiden Zwerge wechselten einen Blick. »Schätzungsweise dreihundert«, antwortete der zweite Zwerg.
    »So viele?«, staunte Tiffany. »Dann dauert es bestimmt noch eine halbe Stunde, bevor sie anfangen, nach mir zu suchen.«
    Urplötzlich war der erste Zwerg die

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