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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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schlaflosen Nächten würde ich es gerne mal wieder ein bisschen übertreiben. Oder am liebsten gleich noch ein bisschen mehr! Ach, was sind Sie doch für ein nettes Kind, dass Sie auch an die Pferde gedacht haben«, fügte er hinzu. »Das zeugt von einem guten Herzen.«
    »Ich freue mich, Sie in so aufgeräumter Stimmung zu sehen, Herr Teppichleger.«
    Der Kutscher drehte noch eine kleine Pirouette mitten auf der Straße. »Ich fühle mich zwanzig Jahre jünger!« Er strahlte sie an, dann legte sich ein leichter Schatten über seine Miene. »Äh … wie viel bin ich Ihnen schuldig?«
    »Wie viel würde mich denn der Lackschaden kosten?«, fragte Tiffany zurück.
    Sie sahen einander in die Augen, und dann antwortete Herr Teppichleger: »Ich kann Ihnen nichts abnehmen, Fräulein. Die zertepperte Kugel geht ja schließlich auf meine Kappe.«
    Hinter ihnen klirrte es leise. Tiffany drehte sich um. Mitten auf – beziehungsweise, wenn man ganz genau hinsah, ein paar Fingerbreit über — der Straße drehte sich die offenbar unversehrte Spiegelkugel langsam um ihre eigene Achse.
    Tiffany kniete sich in den Staub, in dem kein einziger Glassplitter mehr zu sehen war, und sagte wie zu sich selbst: »Habt ihr sie wieder zusammengesetzt?«
    »Och, doch«, antwortete ein glücklicher Rob Irgendwer von hinter der Kugel.
    »Aber sie war doch in tausend Stücke zersprungen!«
    »Och, doch, aber tausend Stücke sind ‘n Klacks. Weißte, je mehr Stücke, desto kleiner, und je kleiner, desto besser passense. Dann gibste ihnen bloß noch’n Schubser, und schon erinnern sich die kleinen Mollikühlchen wieder dran, wo sie hingehör’n, und setzen sich von selber zusammen. Null problemo! Da brauchste gar nich so überrascht ausser Wäsche zu guck’n. Wir mach’n nich immer nur alles kaputt.«
    Herr Teppichleger starrte sie an. »Waren Sie das, Fräulein? «
    »Irgendwie schon.«
    »Alle Achtung!«, sagte er anerkennend und strahlte über das ganze Gesicht. »Also dann: Eine Hand wäscht die andere, wie du mir, so ich dir, Auge um Auge, Maß für Maß, einer für alle und ich für dich.« Er zwinkerte. »Kurz gesagt, wir sind quitt, und die Firma kann mich mit ihrem Papierkram am Hobel blasen – abgemacht?« Er spuckte in seine Hand und streckte sie ihr hin.
    Du liebe Güte, dachte Tiffany, ein Handschlag mit Spucke besiegelt eine unverbrüchliche Übereinkunft; Gott sei Dank habe ich ein halbwegs sauberes Taschentuch dabei.
    Sie nickte stumm. Eine zerbrochene Kugel, die sich offenbar selbst reparierte. Ein heißer Tag. Ein Mann mit Löchern statt Augen, der sich in Luft auflöste … Was sagte man dazu? An manchen Tagen schnitt man Zehennägel, zog Splitter aus Fingern und nähte Beine zu, und andere Tage waren wie dieser.
    Sie wechselten einen feuchten Händedruck. Der Besen wurde zwischen die Bündel hinter dem Kutschbock geschoben, Tiffany stieg auf, und die Fahrt ging weiter. Aus dem Staub, den sie hochwirbelten, formten sich seltsam unschöne Gebilde.
    Nach einer Weile fragte Herr Teppichleger leicht verlegen: »Äh, Ihren schwarzen Hut da … wollen Sie den etwa aufbehalten?«
    »Aber ja.«
    »Ich mein ja bloß, weil Sie so ein hübsches grünes Kleid tragen und, wenn ich das sagen darf, so perfekte weiße Zähne haben.« Er schien mit sich zu ringen.
    »Ich putze sie jeden Tag mit Ruß und Salz. Das kann ich nur empfehlen«, sagte Tiffany.
    Das Gespräch stockte. Der Kutscher schien zu einem Entschluss zu kommen. »Dann sind Sie also gar keine richtige Hexe?«, fragte er hoffnungsvoll.
    »Herr Teppichleger, haben Sie etwa Angst vor mir?«
    »Bei der Frage? Auf jeden Fall.«
    Tiffany konnte es ihm nicht verdenken. Laut sagte sie: »Nun kommen Sie schon. Worauf wollen Sie denn eigentlich hinaus?«
    »Na gut, wenn Sie es wirklich wissen wollen … In der letzten Zeit wird ziemlich viel gemunkelt. Darüber, dass kleine Kinder geraubt werden und so. Oder dass große Kinder von zu Hause ausreißen.« Sein Gesicht hellte sich ein Stück weit auf. »Aber ich denke mir, das waren bestimmt böse, alte … Sie wissen schon, mit Hakennasen und Warzen und hässlichen schwarzen Kleidern – nicht so nette junge Mädels wie Sie. Ja, genau, denen wäre so was zuzutrauen!« Nachdem er dieses Rätsel zu seiner eigenen Zufriedenheit gelöst hatte, sagte er während der restlichen Fahrt nur noch wenig. Dafür pfiff er umso mehr.
    Tiffany saß stumm neben ihm. Zum einen, weil sie einigermaßen beunruhigt war, und zum anderen, weil sie die

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