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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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»Potzblitz!«, gefolgt von dem – zumindest bei den Größten – allzeit beliebten Klirren von splitterndem Glas.

7
    Lieder in der Nacht
    Als Tiffany und Frau Prust die Quelle des Getöses erreichten, war die Straße bereits mit einer imposanten Schicht Glasscherben bedeckt. Nicht weniger imposant war der Trupp besorgt dreinblickender Männer, die Rüstungen trugen und die Sorte Helm auf dem Kopf hatten, aus der man im Notfall gut seine Suppe löffeln könnte. Einer von ihnen errichtete eine Barrikade. Ein paar andere Wachen sahen alles andere als glücklich darüber aus, dass sie sich auf der falschen Seite der Absperrung wiederfanden – vor allem, weil ein wie ein Schrank gebauter Kollege von ihnen gerade im hohen Bogen aus einem der Wirtshäuser geflogen kam, die fast lückenlos die ganze Straßenseite säumten. Laut Wirtshausschild handelte es sich um »Des Königs Kopf« – der inzwischen wahrscheinlich einen ordentlichen Brummschädel hatte.
    Bei seinem Flug durchs Fenster riss der Gesetzeshüter auch noch die allerletzten Glasreste mit sich, und als er unsanft auf dem Bürgersteig landete, kullerte sein Helm, der für den Eintopf einer Großfamilie plus Freunde und Bekannte ausgereicht hätte, mit einem blechernen Gloing! Gloing! Gloing! die Straße hinunter.
    Ein anderer Wachmann rief: »Sie haben den Feldwebel!«
    Während von beiden Enden der Straße noch mehr Wachleute herbeieilten, tippte Frau Prust Tiffany auf die Schulter und säuselte: »Zählst du mir noch einmal ihre guten Seiten auf?«
    Ich bin hier, um einen Jungen zu finden und ihm zu sagen, dass sein Vater tot ist, sagte Tiffany sich. Und nicht, um die Größten schon wieder aus irgendeinem Schlamassel herauszupauken.
    »Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck«, antwortete sie.
    »Das bezweifle ich ja auch gar nicht«, sagte Frau Prust, die sich königlich zu amüsieren schien. »Aber mit dem Arsch sitzen sie auf einem Scherbenhaufen. Achtung, jetzt kommt Verstärkung.«
    »Ich glaube kaum, dass das was nützt.« Doch zu Tiffanys großer Überraschung sollte sie Unrecht behalten.
    Die Wachen verteilten sich und bildeten eine Gasse bis zum Eingang des Wirtshauses. Die Gestalt, die entschlossenen Schrittes hindurchmarschierte, war so winzig, dass Tiffany sie nur mit Mühe erkennen konnte. Der kleine Mann sah aus wie ein Größter, aber mit einem … Tiffany riss die Augen auf. Tatsächlich, er trug den Helm der Stadtwache, kaum größer als der Deckel eines Salzstreuers. Das konnte doch gar nicht sein. Ein Größter auf der Seite des Gesetzes? Wo gab es denn so was?
    In der Kneipentür blieb er stehen und brüllte: »Ihr seid verhaftet, elendes Lumpenpack! Alle, wie ihr da seid. Ich sag euch jetzt mal, wie der Hase läuft: Ihr könnt’s entweder auf die harte Tour haben oder …« Er überlegte kurz. »Nee, nix. Das wars schon. Ne andre Tour kenn ich nich!« Und mit einem Satz war er im Wirtshaus verschwunden.
    Die Wir-sind-die-Größten kämpften eigentlich immer. Für sie waren Raufereien Hobby, Sport und Unterhaltungsprogramm in einem.
    In Professor Buchfinks berühmtem Werk über Sagen und Legenden hatte Tiffany gelesen, dass viele alte Völker glaubten, ihre Helden zögen nach dem Tod in eine Art Festhalle ein, um dort bis in alle Ewigkeit zu kämpfen, zu schlemmen und zu bechern.
    Tiffany fand zwar, dass ein solches Leben nach spätestens drei Tagen stinklangweilig sein müsste, aber die Größten wären dort ganz sicher in ihrem Element. Wahrscheinlich würden die Sagenhelden sie spätestens auf halbem Weg zur Ewigkeit genervt wieder an die frische Luft setzen – allerdings nicht, ohne sie vorher auf den Kopf zu stellen, um etwaige Besteckteile aus ihnen herauszuschütteln. Die Wir-sind-die-Größten waren in der Tat grimmige und furchterregende Kämpfer, mit nur einem, aber – wie sie es sahen – unbedeutenden Handicap: Bereits Sekunden nach Beginn eines Kampfes gewann der Spaß an der Freude die Oberhand, und dann gingen sie auch schon mal aufeinander los, auf die nächsten Bäume oder, wenn sich gar kein anderes Angriffsziel anbot, auf sich selbst.
    Nachdem die Wachen ihren Feldwebel wiederbelebt und ihm seinen Helm zurückgeholt hatten, setzten sie sich hin und warteten auf das Ende des Schlachtenlärms. Nach gefühlten ein, zwei Minuten trat der winzige Wachmann aus dem verwüsteten Gebäude heraus und zog den Großen Yan – einen Riesen unter den Größten, der allem Anschein nach tief und fest schlief – an einem Bein

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