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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Willen hinter Schloss und Riegel zu bringen. Aber wenn diese Herrschaften Freunde von Ihnen sind«, er blickte sich vielsagend um, »möchte ich ihnen dringend raten, alles zu unterlassen, was Ihnen noch mehr Schwierigkeiten bereitet. Dann können wir mit ein bisschen Glück heute Nacht alle ruhig schlafen. Meine Kollegin, Feldwebelin Angua, wird Sie ins Wachhaus eskortieren. Und Frau Prust, wären Sie so nett, Ihre junge Freundin zu begleiten und ihr zu erklären, wie hier bei uns der Hase läuft?« Feldwebelin Angua trat vor; sie war schön und blond – und … eigenartig.
    Hauptmann Karotte wandte sich der Herzogin zu. »Gnädige Frau, meine Beamten werden Sie gern zu einem anderen Hotel oder Gasthof Ihrer Wahl geleiten. Wie ich sehe, hält Ihre Zofe eine recht stabil aussehende Tasche in der Hand. Könnte diese vielleicht den Schmuck enthalten, von dem Sie sprachen? Dürften wir uns, falls diese Vermutung zutrifft, wohl vergewissern, dass er nicht gestohlen wurde?«
    Dieser Vorschlag gefiel der Herzogin ganz und gar nicht, doch der Hauptmann sah mit dem geschulten Blick eines Polizisten, der nur das bemerkt, was er bemerken will, fröhlich darüber hinweg. Überdies gab er deutlich zu erkennen, dass er sich von ihrem Missfallen ohnehin nicht weiter hätte beeindrucken lassen.
    Roland hatte ein Einsehen und öffnete die Tasche. Er holte seine neueste Errungenschaft heraus, entfernte vorsichtig das Seidenpapier und hielt sie hoch. Im Schein der Straßenlaternen funkelte das Schmuckstück so strahlend hell, dass es das Licht nicht nur zurückzuwerfen, sondern im Inneren der glänzenden Edelsteine selbst zu erzeugen schien. Das Juwel war eine Tiara. Die Wachen schnappten nach Luft. Roland machte ein selbstgefälliges Gesicht. Lätitia lächelte dermaßen liebreizend, dass es zum Davonlaufen war. Frau Prust seufzte. Und Tiffany … machte eine gedankliche Zeitreise in die Vergangenheit, nur eine Sekunde lang. Aber in dieser Sekunde war sie wieder ein kleines Mädchen, das sich über sein zerlesenes Märchenbuch beugte.
    Tiffany hatte gesehen, was all ihre Schwestern zuvor nicht gesehen hatten. Sie hatte das Buch durchschaut. Es log. Na schön, dass es log, war vielleicht zu viel gesagt, aber es verbreitete Wahrheiten, die man nicht wissen wollte: dass nur blonde, blauäugige Mädchen den Prinzen und eine glitzernde Krone bekamen. Das war ein Weltgesetz. Ein Gesetz, dessen Gültigkeit bereits an den Haarwurzeln ansetzte. Rothaarige und Brünette durften im Märchenland manchmal mehr als nur eine Statistenrolle übernehmen, doch wer nur mit einem undefinierbaren Straßenköterbraun ausgestattet war, musste sich wohl oder übel mit dem Dienstbotendasein bescheiden.
    Oder man wurde die Hexe. Ja! Dann war man nicht in der Geschichte gefangen. Man konnte sie verändern, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Dazu bedurfte es bloß eines Fingerschnippens.
    Trotzdem entfuhr ihr ein Seufzer. Der edelsteinbesetzte Kopfschmuck war einfach zu schön. Doch die vernünftige Hexe in ihr sagte: »Wie oft würdest du so was wohl tragen, hm? Alle Jubeljahre? So ein teures Stück verstaubt ja doch nur in der Schatzkammer!«
    »Es liegt also kein Diebstahl vor«, sagte Hauptmann Karotte zufrieden. »Das ist schon mal gut. Fräulein Weh, würden Sie Ihren kleinen Freunden bitte vorschlagen, friedlich mitzukommen?«
    Tiffany sah auf die Wir-sind-die-Größten hinunter, die keinen Muckser von sich gaben, so als stünden sie unter Schock. Kein Wunder. Denn wenn an die dreißig todesmutigen Kämpfer von einem einzigen Männchen besiegt werden, kann es durchaus eine ganze Weile dauern, bis man eine Ausrede gefunden hat, um das Gesicht zu wahren.
    Rob Irgendwer blickte mit einer für ihn äußerst seltenen, zerknirschten Miene zu ihr auf. »‘tschuldigung, Meisterin‚ ’tschuldigung«, sagte er. »Wir ham wohl ’n bisschen zu tief ins tiefe Glas geschaut. Und je tiefer man schaut, desto durstiger wird man, und irgendwann kippt man einfach um und weiß, dass man übern Durst drüber ist. Dabei fällt mir ein, was zum Henker is Crème de Menthe eigentlich fürn Zeugs? Is knallgrün, das Gesöff, und ich hab bestimmt nen ganzen Eimer davon gesoffen! Ich schätz ma, ne Entschuldigung könnwer uns sparn, was? Aber wenigstens hamwer den nutzlosen Waschlappen für dich gefunden.«
    Tiffany hob den Blick. Von des Königs Kopf war nicht viel heil geblieben. Im flackernden Licht der Fackeln sah das Wirtshaus nur noch wie das Skelett

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