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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Langeweile, bedurfte es ausgeklügelter trigonometrischer Berechnungen, damit nicht ein weiteres Blutbad geschah, noch bevor die Gäste ihre Suppe ausgelöffelt hatten.
    Die Dienstboten schienen sich weder für Tiffany und Amber noch für die Wachen sonderlich zu interessieren, auch wenn Tiffany einmal zu sehen glaubte, wie jemand unauffällig ein Bannzeichen gegen böse Mächte machte – hier, in ihrem Revier! Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass die Leute sie auf eine sehr entschiedene Weise nicht beachteten, als hätte ein Blick auf sie genügt, um ihnen und den Menschen in ihrer Umgebung erheblichen Schaden zuzufügen. Als Tiffany und Amber in die Studierstube des Barons geführt wurden, hatte es ganz den Anschein, als wollte der sie ebenfalls mit Missachtung strafen. Er beugte sich mit einem Bündel Buntstifte in der Hand über einen Bogen Papier, der den gesamten Schreibtisch bedeckte.
    Der Feldwebel hüstelte, aber er hätte sich genauso gut die Lunge aus dem Hals husten können, so wenig ließ sich der Baron aus der Ruhe bringen. Schließlich hielt Tiffany es nicht mehr aus. Sie brüllte: »Roland!« Er fuhr herum, Schames-und auch einen Hauch Zornesröte im Gesicht.
    »Ich bevorzuge die Anrede Hochwohlgeboren, Fräulein Weh«, sagte er spitz.
    »Und ich bevorzuge die Anrede Tiffany, Roland«, gab Tiffany betont gelassen zurück, weil sie wusste, dass sie ihn damit ärgern konnte.
    Klappernd landeten die Stifte auf dem Tisch. »Die Vergangenheit ist vergangen, Fräulein Weh. Und wir haben uns verändert. Es wäre durchaus angebracht, das nicht zu vergessen.«
    »Die Vergangenheit war erst gestern«, sagte Tiffany. »Und es wäre ja wohl eher angebracht, wenn du nicht vergessen würdest, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, in der ich dich Roland genannt habe und du mich Tiffany.« Sie hob die Hand und nahm die Halskette mit dem silbernen Pferd ab, die er ihr geschenkt hatte. Es kam ihr vor, als wäre das schon hundert Jahre her, aber die Kette war ihr einmal sehr wichtig gewesen. So wichtig sogar, dass sie sich deswegen mit Oma Wetterwachs angelegt hatte! Sie hielt sie ihm vorwurfsvoll hin. »Man darf die Vergangenheit nicht vergessen. Wenn man nicht weiß, wo man herkommt, weiß man auch nicht, wo man ist, und wenn man nicht weiß, wo man ist, weiß man nicht, wo man hingeht.«
    Der Feldwebel blickte von einem zum anderen. Beflügelt von dem Überlebensinstinkt, den jeder Soldat spätestens bis zur Beförderung zum Feldwebel entwickelt, beschloss er, sich lieber aus dem Staub zu machen, bevor die ersten Gegenstände durch den Raum flogen.
    »Ich geh dann mal eben und seh nach … ob … ob es was zu sehen gibt, wenn‘s recht ist, okay?«, murmelte er. Er war so schnell durch die Tür verschwunden, dass sie zeitgleich mit seiner letzten Silbe hinter ihm ins Schloss fiel. Roland starrte einen Augenblick darauf, dann drehte er sich um.
    »Ich weiß, wo ich bin, Fräulein Weh. Ich stehe in den Fußstapfen meines Vaters. Und mein Vater ist tot. Ich verwalte unseren Besitz schon seit Jahren, aber alles, was ich getan habe, habe ich in seinem Namen getan. Warum ist er gestorben, Fräulein Weh? Er war doch noch gar nicht so alt. Ich dachte, Sie könnten zaubern!«
    Tiffany warf einen Blick auf Amber, die gespannt die Ohren spitzte. »Sollten wir dieses Thema nicht auf später verschieben? «, fragte sie. »Du hast deinen Männern befohlen, dieses Mädchen herzuschaffen. Jetzt ist sie hier, unversehrt an Leib und Seele. Und ich habe sie nicht, wie du behauptest, für die Elfen geraubt: Sie war ein Gast der Wir-sind-die-Größten, die dir übrigens schon mehr als einmal aus der Klemme geholfen haben. Und sie ist aus freien Stücken zu ihnen zurückgegangen.« Sie musterte Roland mit forschendem Blick. »Ich glaube fast, du erinnerst dich nicht mehr an die Größten, oder?«
    Sie sah ihm an, dass sie Recht hatte, aber sie merkte auch, wie es in ihm arbeitete. Anscheinend war ihm klar, dass es da tatsächlich etwas gab, woran er sich eigentlich erinnern müsste . Er ist ein Gefangener der Elfenkönigin gewesen, ermahnte Tiffany sich. Vergessen kann ein Segen sein. Aber ich frage mich, was für ein Grauen wohl in ihm wach geworden ist, als ihm die Mickers erzählt haben, ich hätte ihre Tochter zu den Größten gebracht. Zu den Elfen ! Ich habe ja keine Ahnung, wie ihm da zumute gewesen sein muss.
    Sie schlug einen etwas sanfteren Ton an. »Du hast vage Erinnerungen an Elfen, nicht wahr? Hoffentlich keine

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