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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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schärferen Schwertern umringt hatten. Ein Größtenschwert war so scharf, dass ein Mensch seine abgetrennten Beine möglicherweise erst vermisste, wenn er weitergehen wollte. Die Wachen guckten so dumm aus der Wäsche, als wäre ihnen – diesen großen starken Männern, die sie angeblich waren – plötzlich klar geworden, dass sie es hier mit Wesen zu tun hatten, gegen die mit »groß« und »stark« nicht viel auszurichten war. Natürlich kannten sie die Geschichten. Wer im Kreideland kannte sie nicht, die Geschichten über Tiffany Weh und ihre kleinen … Helfer? Doch das waren immer nur Geschichten gewesen. Bis jetzt. Und nun machten sie auch noch Anstalten, an den Hosenbeinen der Männer raufzuklettern.
    Es wurde totenstill. Schwer atmend blickte Tiffany sich um. Alles beobachtete sie. Immer noch besser, als wenn alles kämpfte.
    »Na schön«, sagte sie wie eine Lehrerin, die mit ihrer ungezogenen Klasse zumindest halbwegs zufrieden ist. Ergänzend hängte sie noch ein Schnauben an, was man normalerweise folgendermaßen übersetzen kann: Aber nur halbwegs , wohlgemerkt. Sie schnaubte noch einmal. »Na schön. Würde mir jetzt bitte mal jemand verraten, was hier los ist?«
    Der Feldwebel meldete sich brav, wie ein Schüler. »Könnte ich wohl kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen, Fräulein?« Tiffany war beeindruckt, dass er überhaupt ein Wort hervorbrachte, nachdem sein Verstand doch noch voll und ganz damit beschäftigt war, sich einen Reim auf das zu machen, was ihm seine Augen meldeten.
    »Also gut, komm mit.« Sie fuhr so jäh herum, dass sowohl Wachen als auch Größte erschrocken zusammenzuckten. »Niemand, und damit meine ich niemand, wird irgendeine Wohnhöhle ausgraben oder irgendwelche Beine abhacken, solange wir weg sind, verstanden? Ich sagte, verstanden ?« Sie erntete ein allgemeines Gemurmel aus Jas und Klaros, nur einer – der, auf den sie hinuntersah – blieb stumm. Bebend vor Wut kauerte Rob Irgendwer sprungbereit am Boden. »Hast du gehört, Rob Irgendwer?«
    Seine Augen sprühten Feuer. »In dieser Sache kann ich dir nix versprechen, auch wenn du die Hexe bist! Wo is meine Jeannie? Wo sind die andern? Die Lumpenhunde ham Schwerter! Was hatten die damit vor? Ich will ne Antwort!«
    »Jetzt pass mal gut auf, Rob«, begann Tiffany. Sie brach ab. Rob Irgendwer liefen Tränen über das Gesicht, und er raufte sich verzweifelt den Bart angesichts der Schreckensbilder, die er sich ausmalte. Tiffany hatte das Gefühl, als ob bis zum Ausbruch eines offenen Kampfes nicht mehr viel fehlte.
    »Rob Irgendwer! Ich bin die Hexe dieser Hügel, und ich nehme dir den Eid ab, diese Männer nicht zu töten, bis ich es dir sage! Verstanden?«
    Mit einem lauten Plumps fiel eine der Wachen in Ohnmacht. Jetzt redete das Mädchen auch noch mit diesen Wesen! Darüber, dass die sie töten sollten! So etwas waren sie einfach nicht gewöhnt. Das Aufregendste, was ihnen üblicherweise passierte, war, dass die Schweine in den Gemüsegarten einbrachen.
    Der Große Mann der Wir-sind-die-Größten zögerte, während sein rasender Verstand Tiffanys Befehl verarbeitete. Sicher, der Befehl lautete nicht, sofort jemanden zu töten, aber er enthielt immerhin die Möglichkeit, das schon sehr bald nachholen zu dürfen und sich von den fürchterlichen Bildern in seinem Kopf befreien zu können. Es war wie der Versuch, einen ausgehungerten Hund an einem Spinnenfaden zurückzuhalten – aber so gewann Tiffany wenigstens etwas Zeit.
    »Du wirst gleich sehen, dass der Hügel nicht angerührt wurde«, sagte Tiffany. »Wie auch immer ihr Plan aussah, sie haben ihn nicht durchgeführt.« Sie wandte sich wieder dem erbleichten Feldwebel zu: »Brian, wenn dir etwas daran liegt, dass deine Männer mit sämtlichen Armen und Beinen weiterleben, befiehlst du ihnen auf der Stelle, und zwar ohne die Stimme zu erheben, die Waffen niederzulegen. Ihr Leben hängt von der Ehre eines einzigen Größten ab, der sich vor Grauen gerade selbst um den Verstand bringt. Also, schnell jetzt!«
    Zu Tiffanys Erleichterung fügte er sich, und die Wachen – heilfroh, dass der Feldwebel ihnen genau den Befehl gab, den ihnen sämtliche Atome ihrer Körper als den einzig richtigen signalisierten – ließen schlotternd die Waffen fallen. Einer von ihnen hob sogar die Hände zum universellen Zeichen der Kapitulation. Tiffany nahm den Feldwebel ein Stück zur Seite, weg von den finster dreinblickenden Größten, und flüsterte: »Was sollte das denn werden, du

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