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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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erste hatte sie auf der Burg zu erledigen.
    »Mein Papa hat mich verprügelt, oder?«, fragte Amber sachlich, während sie auf die grauen Türme zugingen. »Ist mein Kind gestorben?«
    »Ja.«
    »Ach«, sagte Amber mit der gleichen ausdruckslosen Stimme.
    »Ja«, sagte Tiffany. »Es tut mir leid.«
    »Irgendwie kann ich mich daran erinnern, bloß nicht so richtig. Es ist alles ein bisschen … verschwommen.«
    »Das macht der Seelentrost. Jeannie hat dir geholfen.«
    »Ich verstehe.«
    »Ja«, sagte Tiffany.
    »Ja«, sagte Amber. »Und mein Papa, kriegt der jetzt Ärger?«
    Worauf er sich verlassen könnte, wenn ich ausplaudern würde, wie ich dich gefunden habe, dachte Tiffany. Dafür würden die Frauen schon sorgen. Was die Bestrafung von Jungen anging, diesen Lausebengeln, die man hart an die Kandare nehmen musste, hatten die Dorfbewohner recht robuste Erziehungsvorstellungen. Aber ein Mädchen so brutal zu schlagen? Das ging entschieden zu weit. »Erzähl mir doch was über deinen Freund«, sagte sie stattdessen. »Er ist Schneider, richtig?«
    Amber strahlte, und wenn Amber strahlte, ging ein Leuchten durch die Welt. »Oh ja! Er hat viel von seinem Opa gelernt, als der noch gelebt hat. Wenn mein William ein Stück Stoff in die Hände kriegt, kann er fast alles daraus machen. Im Dorf sagt jeder, wenn er einen Meister finden würde, der ihn in die Lehre nimmt, wäre er in wenigen Jahren selber Meister.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber die Lehrherren wollen Geld dafür, dass sie einem beibringen, was man wissen muss, und so viel kann seine Mama nie zusammenkratzen. Dabei hat mein William wahnsinnig geschickte Finger. Er hilft seiner Mutter, wenn sie ihre Mieder näht, und schneidert wunderschöne Hochzeitskleider, aus Satin und anderen edlen Stoffen«, sagte das Mädchen stolz. »Und Williams Mutter kriegt von allen Seiten Lob für ihre feinen Nähte!« Amber sonnte sich im Glanz der geborgten Anerkennung. Tiffany sah in ihr leuchtendes Gesicht, in dem die blauen Flecken trotz der heilenden Hände der Kelda noch immer deutlich zu sehen waren.
    Ihr Freund ist also Schneider, dachte sie. Für einen massigen, kernigen Kerl wie Herrn Micker war so ein Bursche, der keine Schwielen an den Händen hatte und nicht einmal an der frischen Luft arbeitete, vermutlich sowieso kein richtiger Mann. Aber einer, der auch noch Frauenkleider nähte? Mit so einem würde die Tochter noch mehr Schande über die unglückliche kleine Familie bringen.
    »Was möchtest du jetzt machen, Amber?«, fragte sie.
    »Ich möchte zu meiner Mama«, antwortete das Mädchen, ohne zu zögern.
    »Und wenn du deinem Vater begegnest«
    Amber sah sie an. »Dann denke ich mir mein Teil … Aber Sie dürfen ihm nichts tun, ja? Nicht, dass Sie ihn in ein Schwein verwandeln oder so.«
    Ein Tag als Schwein würde ihm vielleicht helfen, zur Einsicht zu kommen, dachte Tiffany. Aber Amber hatte fast wie eine Kelda geklungen. ›Dann denke ich mir mein Teil‹. Wie ein Licht in der Dunkelheit.
     
    Tiffany hatte noch nie erlebt, dass das Burgtor geschlossen war, außer bei Nacht. Tagsüber glich die Burg einer Mischung aus Gemeindesaal, Schreinerei und Schmiede. Zudem diente sie bei Regen als Kinderspielplatz und, wenn die Scheunen überquollen, auch noch als Speicher für die Heu- und Weizenernte. Selbst im größten Bauernhaus war nicht viel Platz; wenn man Ruhe und Frieden suchte, ein stilles Plätzchen zum Nachdenken oder jemanden zum Reden, ging man einfach rüber auf die Burg. Das funktionierte immer.
    Obwohl sich inzwischen der erste Schreck über die Rückkehr des neuen Barons ein wenig gelegt hatte, ging es in der Burg immer noch zu wie in einem Bienenstock. Aber die Stimmung war gedrückt, und es wurde nicht viel geredet. Der Grund dafür war möglicherweise die Herzogin, Rolands zukünftige Schwiegermutter, die im Rittersaal auf und ab schritt und die Dienstboten mit einem Stock antrieb. Beim ersten Mal glaubte Tiffany noch, sich versehen zu haben, doch dann geschah es erneut – eine Magd, die einen Wäschekorb trug, bekam den schwarzglänzenden Stock mit dem Silberknauf zu spüren. Erst jetzt bemerkte Tiffany auch Rolands Verlobte, die sich einige Schritte hinter ihrer Mutter hielt, als ob es ihr peinlich wäre, in nächster Nähe einer Person gesehen zu werden, die andere Leute mit einem Stock schikanierte.
    Tiffany wollte sofort protestieren, aber dann überkam sie die Neugier. Sie trat ein paar Schritte zurück und ließ sich verschwinden. Es

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