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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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war ein Trick, den sie meisterlich beherrschte. Sie wurde nicht wirklich unsichtbar, sie war nur nicht mehr zu sehen. Unbemerkt näherte sie sich den beiden, bis sie belauschen konnte, was sie miteinander sprachen, beziehungsweise, was die Mutter sagte und was sich die Tochter anhören musste.
    Die Herzogin lamentierte. »Diese Burg ist völlig verlottert. Höchste Zeit, dass hier mal ein Großreinemachen veranstaltet wird. In solchen Gemäuern darf man keine Schlamperei einreißen lassen. Man muss scharf durchgreifen. Weiß der Himmel, wieso die Familie die Zügel dermaßen hat schleifen lassen!«
    Sie holte zwischendurch nur einmal kurz Luft, um ihren Stock mit einem Rumms! auf dem Rücken der nächsten Wäschemagd niedersausen zu lassen, die schnell, aber offenbar nicht schnell genug, einen schweren Korb an ihr vorbeischleppte.
    »Du musst gewissenhaft deiner Verpflichtung nachkommen, dafür zu sorgen, dass sie ihren Verpflichtungen ebenso gewissenhaft nachkommen«, fuhr die Herzogin fort, während sie im Saal bereits nach dem nächsten Opfer Ausschau hielt. »Die Laxheit muss ein Ende haben. Verstehst du? Verstehst du? Sie werden es schon lernen. Du darfst nur nie nachlassen in deinem energischen Durchgreifen gegen jedwede Form von Nachlässigkeit, ob in ihrem Tun oder in ihrem Auftreten. Und du darfst keinerlei Vertraulichkeiten dulden! Darunter fällt auch jedes Lächeln. Ach, denkst du vielleicht, was kann denn an einem freundlichen Lächeln auszusetzen sein? Aber von einem unschuldigen Lächeln zu einem anzüglichen Grinsen ist es nur ein kleiner Schritt. Hörst du mir eigentlich zu?«
    Tiffany staunte. Die Herzogin hatte im Alleingang etwas geschafft, das sie nie für möglich gehalten hätte: Tiffany empfand tatsächlich Mitleid mit der Braut, die inzwischen wie ein ungezogenes Kind vor ihrer Mutter stand.
    Lätitias Hobby und möglicherweise überhaupt ihre einzige Beschäftigung im Leben war das Aquarellieren, und obwohl Tiffany sich bemühte, ihren niedersten Instinkten zum Trotz nicht allzu hart mit dem Mädchen ins Gericht zu gehen, ließ sich nicht bestreiten, dass es selbst wie ein Aquarell aussah – und zwar wie eines, das von jemandem gemalt worden war, dem nicht viel Farbe, aber dafür umso mehr Wasser zur Verfügung gestanden hatte, wodurch sie nicht nur farblos, sondern auch einigermaßen klamm wirkte. Darüber hinaus war sie eine so mickrige halbe Portion, dass es nicht verwunderlich gewesen wäre, wenn sie ein etwas stärkerer Windhauch einfach davonpustet hätte. Obwohl niemand sie sehen konnte, bekam Tiffany bei diesem Gedanken einen klitzekleinen Gewissensbiss, und sie hörte auf, sich noch mehr gehässige Dinge auszudenken. Zu allem Überfluss keimte in ihr sogar Mitgefühl auf. Das konnte sie nun wirklich nicht brauchen.
    »Und jetzt, Lätitia, trägst du mir noch einmal das Gedichtlein vor, das ich dir beigebracht habe«, sagte die Herzogin.
    Die Braut – nicht nur hold errötend, sondern vor Verlegenheit und Scham fast vergehend – blickte sich um wie ein Mäuschen, das mitten auf einem unendlich großen Fußboden die Katze entdeckt hat und nicht weiß, wohin es flüchten soll.
    »Wer die« , soufflierte ihre Mutter gereizt und trieb sie mit dem Stock an.
    Stammelnd begann das Mädchen zu rezitieren:
»Wer die … wer die … wer die
Biene bang berühret,
kriegt ’nen Stich, trotz Imkerhut.
Nur wer sich nicht lange zieret
und mit Qualm narkotisieret
ihre wimmelnd freche Brut,
kriegt den Honig. Also Mut!
     
Wie mit Bienen, so mit Menschen,
Nettigkeit hat ihren Preis,
doch mit Feuer unterm Hintern
steigert sich enorm ihr Fleiß.«
    Während das wässrige dünne Stimmchen verklang, herrschte Totenstille im Saal. Alle Augen waren gebannt auf die Vortragende geheftet. Tiffany hoffte, dass sich irgendwer dazu hinreißen lassen würde, Beifall zu klatschen – auch wenn das vermutlich das Ende der Welt bedeutet hätte. Die Braut warf einen Blick in die sprachlos gaffende Runde und trat schluchzend die Flucht an, so schnell ihre teuren, aber extrem unpraktischen Schuhe sie tragen wollten. Unter lautem Geklapper hetzte sie die Treppe hinauf. Oben fiel knallend eine Tür ins Schloss.
    Tiffany wanderte langsam weiter, für jeden, der nicht genau hinsah, nur ein luftiges Schattengespinst. Sie schüttelte den Kopf. Warum hatte er das getan? Warum um alles in der Welt hatte Roland sich für sie entschieden? Er hätte jede heiraten können! Bis auf Tiffany natürlich, aber musste es denn

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