Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
ausgerechnet dieses – nun, seien wir gnädig – dieses magere Hühnchen sein?
    Der Vater ein Herzog, die Mutter eine Herzogin, die Tochter ein Hühnchen – beziehungsweise ein Entlein. Es ließ sich nämlich, bei aller Großmütigkeit, einfach nicht bestreiten, dass sie watschelte. Doch, wirklich. Wenn man ganz genau hinsah, erkannte man, dass sie die Fußspitzen nach außen drehte.
    Und noch etwas – für den, der auf so etwas Wert legt: Die furchtbare Mutter und ihre weinerliche Tochter waren auch noch von höherem Stand als Roland! Sie durften ihn also nach allen Regeln der Etikette herumkommandieren!
    Der alte Baron dagegen, ja, der war von einem ganz anderen Schlag gewesen. Sicher, er hatte es gern, wenn die Kinder auf der Straße einen Diener oder Knicks vor ihm machten, aber dafür wusste er auch ihre Namen und bei den allermeisten sogar, wann sie Geburtstag hatten. Und er war immer höflich. Tiffany erinnerte sich daran, wie er sie einmal im Dorf angesprochen und zu ihr gesagt hatte: »Wärst du bitte so freundlich, deinen Vater zu bitten, mich aufzusuchen?« Was für ein Feingefühl für einen so mächtigen Mann.
    Ihre Eltern waren seinetwegen oft aneinandergeraten, wenn sie glaubten, dass ihre Tochter tief und fest schlief. In den Pausen der Bettfedernsymphonie konnte Tiffany mit anhören, wie sie ihre Meinungsverschiedenheit manchmal fast bis zum handfesten Streit austrugen. Aber nur fast. Von ihrem Vater kamen dann Sätze wie: »Klar kannst du ihm seine Großzügigkeit hoch anrechnen, aber woher hat er denn das viele Geld? Daher, dass seine Vorfahren die Armen geknechtet haben.« Worauf ihre Mutter antwortete: »Ich hab ihn noch nie irgendwen knechten sehen! Außerdem ist das alles so lange her, dass es schon gar nicht mehr wahr ist. Wir brauchen jemanden, der uns beschützt. Das liegt doch auf der Hand!« Darauf die Retourkutsche ihres Vaters: »Und vor wem soll er uns beschützen? Einem anderen Kerl mit einem Schwert? Ich schätze, das schaffen wir auch alleine!«
    Doch dann beruhigten sich die Gemüter auch schon wieder, weil ihre Eltern sich auf eine kuschelige Art und Weise nach wie vor liebten und es ihnen sowieso lieber war, wenn alles beim Alten blieb.
    Während Tiffany sich im Saal umblickte, wollte es ihr so scheinen, als wäre es gar nicht nötig, die Armen zu knechten, wenn man ihnen nur beibrachte, sich selber zu knechten.
    Das war ein schwindelerregender Gedanke, und er traf sie wie ein Schlag. Sie würde ihn so bald nicht wieder vergessen. Die Wachen stammten alle aus der näheren Umgebung oder waren mit Frauen aus dem Dorf verheiratet. Was würde passieren, wenn sich die ganze Gemeinschaft zusammentat und dem neuen Baron sagte: »Geht schon in Ordnung, dass du hier wohnen bleibst. Du kannst sogar das große Schlafzimmer haben, und wir bringen dir natürlich auch das Essen und wedeln bei Gelegenheit mal mit dem Staubtuch durch die Bude, aber das Land gehört jetzt uns, kapiert?« Würde das funktionieren?
    Wohl eher nicht. Doch dann fiel ihr ein, dass sie ihren Vater gebeten hatte, die alte steinerne Scheune herzurichten. Das wäre auf jeden Fall ein Anfang. Sie hatte nämlich etwas vor mit der alten Scheune.
    »Du da! Ja, du! Die sich da im Schatten herumdrückt! Was trödelst du hier rum?«
    Vor lauter Nachdenken hatte Tiffany sich nicht genug auf ihren kleinen Seh-mich-nicht-Trick konzentriert. Sie trat aus dem Schatten, sodass auch der spitze schwarze Hut nicht mehr vom Dunkel verschluckt wurde. Die Herzogin musterte ihn mit Verachtung.
    Dann wollte sie mal versuchen, das Eis zu brechen, auch wenn es so dick war, dass man dafür eine Axt gebraucht hätte. Höflich sagte sie: »Entschuldigung, gnädige Frau, aber ich trödele nicht.«
    » Wie bitte? Was hast du gesagt? Wie hast du mich genannt? «
    Die Leute im Rittersaal erwiesen sich als sehr lernfähig, denn sie brachten sich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone, bevor das Donnerwetter losbrach, das sich im Ton der Herzogin unmissverständlich ankündigte.
    Tiffany packte der Zorn. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, was eine derartige Anfuhr gerechtfertigt hätte. Sie sagte: »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, aber ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen, Sie irgendetwas genannt zu haben.«
    Ihre Antwort machte die Sache auch nicht besser. Die Herzogin kniff die Augen zusammen. »Ach, dich kenne ich doch. Die Hexe – das Hexengör, das uns mit weiß Gott welchen finsteren Absichten in die Stadt

Weitere Kostenlose Bücher