Das Mitternachtskleid
verfolgt hat. Wo ich herkomme, kennen wir uns mit Hexen aus! Mischen sich überall ein, säen Zweifel, schüren Unzufriedenheit, haben keine Moral und sind obendrein noch Scharlatane!«
Die Herzogin baute sich vor ihr auf und machte ein Gesicht, als ob sie gerade einen entscheidenden Sieg errungen hätte. Sie klopfte mit ihrem Stock auf den Boden.
Tiffany sagte kein Wort, was schwieriger war, als viele zu machen. Sie spürte, dass sie von den Dienstboten, die hinter Vorhängen, Säulen und halb offenen Türen hervorlugten, gespannt beobachtet wurde. Die Frau grinste höhnisch, und dieses Grinsen musste man ihr dringend aus dem Gesicht wischen. Tiffany war es allen Hexen schuldig, der Welt zu zeigen, dass eine Hexe so nicht mit sich umspringen ließ. Aber wenn sie ihr gehörig die Meinung geigte, würde die Herzogin ihre Wut mit Sicherheit an den Bediensteten auslassen. Es kam also auf eine sorgsame Wortwahl an. Doch dazu sollte es gar nicht mehr kommen, da die alte Schrulle mit einem fiesen Kichern sagte: »Und? Willst du mich denn nicht in irgend so eine hässliche Schreckensgestalt verwandeln? «
Tiffany versuchte es. Sie gab wirklich ihr Bestes. Aber manchmal ist zu viel eben doch zu viel. Sie holte tief Luft.
»Ich denke, darauf kann ich verzichten, gnädige Frau. Die Arbeit haben Sie mir schon längst abgenommen!«
In die jäh lautlose Stille mischten sich leise Geräusche, wie zum Beispiel das Klatschen, mit dem sich hinter einer Säule ein Wachmann die Hand vor den Mund schlug, damit man sein erschrockenes Lachen nicht hörte, und das Prusten, mit dem einer Magd – auf der anderen Seite eines Vorhangs – beinahe das gleiche Kunststück geglückt wäre. Doch es war das leise Klicken einer Tür von oben, das Tiffany im Gedächtnis blieb. War das Lätitia? Hatte sie gelauscht? Egal, es spielte keine Rolle. Die Herzogin sonnte sich in ihrem Triumph: Jetzt hatte sie Tiffany völlig in der Hand.
Tiffany hätte sich von den dummen Beleidigungen nicht reizen lassen dürfen. Ganz egal, ob es Ohrenzeugen gab oder nicht. Die Herzogin würde genüsslich dafür sorgen, dass sie Ärger bekam. Und nicht nur sie, sondern alle, die sie kannte, und vermutlich auch alle, die sie jemals gekannt hatte.
Tiffany lief der kalte Schweiß den Rücken hinunter. So etwas hatte sie noch nie erlebt – nicht einmal mit dem Winterschmied oder mit Annagramma, wenn die mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden war, und noch nicht einmal mit der Elfenkönigin, die eine Meisterin der Gehässigkeit war. Die Herzogin übertraf sie alle: Sie war eine Tyrannin, und zwar eine von der Sorte, die ihr Opfer zur Gegenwehr zwingt, was ihr wiederum einen Rechtfertigungsgrund für weitere und noch hässlichere Schikanen liefert, bei denen es zu Kollateralschäden bei unbeteiligten Außenstehenden kommt, welche dann von der Tyrannin angestachelt werden, die Schuld an ihrem Unglück auf das Opfer zu schieben.
Die Herzogin ließ den Blick durch den Saal schweifen. »Ist hier ein Wachmann?« Sie legte eine gehässige Kunstpause ein. »Ich weiß doch, dass hier irgendwo ein Wachmann ist!«
Zögernde Schritte waren zu hören. Preston, der noch in der Ausbildung war, tauchte aus einer dunklen Ecke auf und ging vorsichtig auf Tiffany und die Herzogin zu. Natürlich musste es ausgerechnet Preston treffen, wen sonst?, dachte Tiffany. Die anderen Wachen waren zu erfahren, um sich vom Zorn der Herzogin einen Nachschlag abzuholen. Und er lächelte auch noch nervös! Keine gute Idee, wenn man mit Leuten vom Kaliber dieser Frau zu tun hatte. Wenigstens war er klug genug zu salutieren, als er vor ihr stand, und wenn man bedachte, dass er das Salutieren nie richtig gelernt hatte und ohnehin nur selten dazu kam, es zu üben, fiel der Gruß gar nicht mal so übel aus.
Die Herzogin schauderte angewidert zurück. »Was grinst du so, Bürschchen?«
Preston ließ sich die Antwort gründlich durch den Kopf gehen. »Weil die Sonne scheint, gnädige Frau, und weil ich mich freue, dass ich ein Wachmann bin.«
»Das Grinsen verbitte ich mir! Lächeln führt zu Vertraulichkeiten, und so etwas dulde ich unter gar keinen Umständen. Wo ist der Baron?«
Preston trat von einem Fuß auf den anderen. »In der Gruft, gnädige Frau. Er verabschiedet sich von seinem Vater.«
» Gnädige Frau!? Das verbitte ich mir! Das ist die Anrede für eine Krämersfrau! ›Mylady‹ verbitte ich mir ebenfalls. So spricht man die Frauen von Rittern und ähnlichem Gesindel an. Ich bin
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