Das Mitternachtskleid
war.«
»Dann will ich dir das ersparen«, sagte Tiffany. »Soll ich den Besen, wenn er dir solche Sorgen macht, nicht einfach selber runter ins Verlies bringen und ihn einsperren? Dann kann ich nicht mehr wegfliegen. Was meinst du?«
Man konnte regelrecht hören, wie dem Feldwebel ein Stein vom Herzen fiel. Während sie die Treppe zum Verlies hinunterstiegen, sagte er mit gesenkter Stimme: »Ich kann nichts dafür, das musst du verstehen. Die da oben sind schuld. Anscheinend bestimmt jetzt die Durchlaucht, wo‘s langgeht.« Tiffany hatte noch nicht sehr viele Verliese gesehen, doch das Verlies der heimischen Burg genoss einen recht guten Ruf. Es hieß, dass es wahrscheinlich mindestens fünf eiserne Fußfesseln an der Eisenkette einheimsen würde, falls jemand auf die Idee kommen sollte, einen Verlies- und Kerkerführer zu verfassen. Es war großzügig geschnitten und hatte funktionsfähige sanitäre Anlagen – will sagen, eine praktische Rinne in der Mitte des Fußbodens, die in dem unvermeidlichen runden Loch endete, aus dem es angeblich halbwegs erträglich roch, wie Kenner berüch-, äh, berichteten.
Das Gleiche galt auch für die Ziegen, die sich von ihren gemütlichen Strohlagern erhoben und Tiffany aus ihren geschlitzten Augen gespannt beobachteten, für den Fall, dass sie irgendetwas Interessantes zu tun gedachte – wie zum Beispiel, sie zu füttern. Währenddessen ließen sie sich beim Kauen nicht stören, denn da sie Ziegen waren, fraßen sie ihr Abendessen bereits zum zweiten Mal.
Das Verlies hatte zwei Eingänge. Der eine führte direkt nach draußen: Wahrscheinlich hatte er in der guten alten Zeit dazu gedient, die Gefangenen hereinzuschleppen, damit man sie nicht durch den Rittersaal schleifen musste. Man wollte sich ja schließlich nicht den Boden mit Lehm und Blut verdrecken.
Heutzutage wurde das Verlies hauptsächlich als Ziegenstall genutzt und als Lagerplatz für Äpfel – sicherheitshalber auf hoch oben an der Wand angebrachten Borden, sodass höchstens eine zu allem entschlossene Ziege herangekommen wäre.
Tiffany legte den Besen auf das unterste Brett, während der Feldwebel eine Ziege streichelte, um nicht hinsehen zu müssen – sonst wäre ihm schwindelig geworden. Deshalb traf es ihn auch vollkommen unvorbereitet, als Tiffany ihn plötzlich rückwärts zur Tür hinausschob, den Schlüssel aus dem Schloss zog, selbst wieder ins Verlies schlüpfte und von innen absperrte.
»Doch, Brian, du kannst sehr wohl etwas dafür. Natürlich bist nicht du allein schuld, wahrscheinlich bist du noch nicht mal besonders mitschuldig, und es tut mir auch leid, dass ich dich so übertölpelt habe, aber wenn ich schon wie eine Verbrecherin behandelt werde, kann ich mich auch genauso gut wie eine benehmen.«
Brian schüttelte den Kopf. »Wir haben noch einen Ersatzschlüssel. «
»Und was willst du damit anfangen, wenn von innen schon ein Schlüssel steckt und du ihn nicht umdrehen kannst?«, fragte Tiffany. »Aber du musst es auch mal positiv sehen. Ich sitze hinter Schloss und Riegel, was einigen Leuten wahrscheinlich gar nicht mal unlieb ist, also mach dir um diesen kleinen Schönheitsfehler nicht so viele Gedanken. Weißt du, ich glaube, du siehst das Ganze einfach falsch rum. Ich bin weggesperrt, das schon. Aber nicht zu eurer Sicherheit, sondern zu meiner eigenen.« Brian schien den Tränen nah, und sie dachte: Nein, ich kann das nicht. Er war immer anständig zu mir. Er versucht sogar jetzt noch, anständig zu sein. Nur, weil ich klüger bin als er, soll er nicht seine Stelle verlieren. Außerdem weiß ich schon, wie ich hier rauskomme. Das ist das Problem mit Leuten, die ein Verlies besitzen; sie verbringen selbst nicht genug Zeit darin. Tiffany gab ihm die Schlüssel zurück.
Schlagartig hellte sich seine Miene wieder auf. »Du bekommst natürlich Wasser und Brot!«, sagte er. »Du kannst ja nicht nur von Äpfeln leben.«
Tiffany setzte sich ins Stroh. »Eigentlich ist es ganz heimelig hier drin. Das mag ich so an Ziegenrülpsern: Sie machen alles schön warm und gemütlich. Nein, die Äpfel esse ich nicht, aber ich glaube, ein paar von ihnen müssen mal umgedreht werden, damit sie nicht faulen. Darum kümmere ich mich, während ich hier drin bin. Allerdings: Solange ich hier drin bin, kann ich natürlich nicht draußen sein. Ich kann keine Arznei zubereiten. Ich kann keine Zehennägel schneiden. Ich kann nicht helfen. Wie geht es eigentlich dem Bein von deiner Mutter? Hoffentlich ist es
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