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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Frage«, sagte sie bissig. »Soll ich bis in alle Ewigkeit hier eingekerkert bleiben? Dann bräuchte ich nämlich ein paar Strümpfe und Kleider zum Wechseln und natürlich – Entschuldigung, dass ich es ausspreche – saubere Unaussprechliche. «
    Möglicherweise war es das Wort ›Unaussprechliche‹, das dem jungen Baron momentan die Sprache verschlug. Aber er berappelte sich erstaunlich schnell und antwortete: »Wir sind, äh … will sagen, ich bin, äh … der Ansicht, dass es besser wäre, Sie bis nach der Hochzeit auf humane Art und Weise aus dem Verkehr zu ziehen. In jüngster Zeit scheinen Sie ja regelrecht unter einem Unstern zu stehen. Es tut mir leid.«
    Tiffany schwieg lieber gleich. Es hätte sich einfach nicht gehört, nach einer derart pathetischen, albernen Rede laut loszuprusten.
    Mit einem gequälten Lächeln fuhr er fort: »Es soll Ihnen an nichts fehlen, und wenn Sie möchten, schaffen wir auch die Ziegen hinaus.«
    »Mir wäre es lieber, wenn sie bleiben«, sagte Tiffany. »Ich fühle mich in ihrer Gesellschaft schon richtig wohl. Aber dürfte ich noch etwas fragen?«
    »Nur zu.«
    »Diese ganze Geschichte läuft doch hoffentlich nicht auf Spindeln hinaus, oder?« Das schien ihr die einzig plausible Erklärung für seine verschrobenen Gedankengänge.
    »Wie bitte?«, gab Roland zurück.
    Die Herzogin stieß ein triumphierendes Lachen aus. »Ja, das ist ihr zuzutrauen, dieser unverschämten, selbstherrlichen Person, dass sie uns mit ihren finsteren Absichten auch noch verhöhnt. Wie viele Spinnräder haben wir hier auf der Burg, Roland?«
    Der junge Mann machte ein erschrockenes Gesicht. Wie immer, wenn seine zukünftige Schwiegermutter das Wort an ihn richtete. »Äh, das kann ich nicht sagen. Ich glaube, die Beschließerin hat eins, und im hohen Turm steht immer noch das Spinnrad meiner Mutter… Es dürften schon so einige sein. Mein Vater hat – hatte – es immer gern, wenn die Leute sich sinnvoll mit den Händen beschäftigen. Aber genau weiß ich es wirklich nicht.«
    »Ich werde den Männern befehlen, die Burg zu durchsuchen und alle Spinnräder – und vor allem die Spindeln – zu zerstören! Dann muss diese Person Farbe bekennen. Es weiß schließlich jeder, wozu eine wie sie mit einer Spindel fähig ist. Ein einziger Stich in den Finger, und wir fallen alle in einen hundertjährigen Tiefschlaf!«
    Lätitia, die bis jetzt stumm dabeigestanden hatte, brachte schniefend hervor: »Mutter, du weißt doch, dass ich noch nie ein Spinnrad anrühren durfte.«
    »Und das wirst du auch in Zukunft nicht, Lätitia, niemals , nur über meine Leiche. Solche Gerätschaften sind für die arbeitende Bevölkerung da. Du bist eine Dame . Zum Spinnen hat man seine Dienstboten.«
    Roland hatte einen roten Kopf bekommen. »Meine Mutter hat gesponnen«, sagte er betont deutlich. »Ich habe ihr manchmal zugesehen, wenn sie im hohen Turm am Spinnrad saß. Es hatte Intarsien aus Perlmutt. Und es bleibt, wo es ist.« Für Tiffany, die sich die Szene durch die Gitterstäbe betrachtete, stand fest, dass an dieser Stelle jeder, der auch nur ein halbes Herz, einen Rest Menschlichkeit und ein Fünkchen gesunden Menschenverstand besaß, die Angelegenheit damit auf sich hätte beruhen lassen. Jeder andere, aber nicht die Herzogin. Denn Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und sie war natürlich über alles Bürgerliche erhaben.
    »Ich bestehe darauf – « begann sie.
    »Nein.« Roland wurde nicht laut. Er sagte es so nachdrücklich leise, dass es lauter als ein Schrei hallte, inklusive Unter- und Obertönen, die ausgereicht hätten, eine wild gewordene Elefantenherde wie angewurzelt stehen bleiben zu lassen. Beziehungsweise eine wild gewordene Herzogin zum Schweigen zu bringen. Aber er handelte sich dafür einen Blick ein, der ihm nichts Gutes verhieß.
    Aus Mitleid sagte Tiffany: »Die Bemerkung mit den Spindeln und Spinnrädern war doch sarkastisch gemeint. Solche Sachen passieren heutzutage längst nicht mehr. Und ob es sie früher wirklich gegeben hat? Ich weiß nicht. Man muss sich das bloß mal plastisch vorstellen. Leute, die hundert Jahre schlafen, während die Bäume und die anderen Pflanzen den ganzen Palast überwuchern? Wie soll das gehen? Wieso schlafen die Pflanzen nicht auch? Sonst würden den Leuten doch irgendwann die Dornenranken in die Nasenlöcher wachsen, und ich wette, spätestens davon würde jeder aufwachen. Und was war, wenn es geschneit hat?« Während sie redete, konzentrierte sie sich auf

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