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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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nicht wieder schlimmer geworden. Würdest du jetzt bitte gehen? Ich muss mal aufs Loch.«
    Seine Stiefel verhallten auf der Treppe. Sie war ein bisschen gemein zu ihm gewesen, aber was blieb ihr denn anderes übrig? Sie blickte sich um und hob ein sehr altes, sehr dreckiges Strohbüschel hoch, das seit Ewigkeiten niemand mehr angerührt hatte. Alles mögliche Geziefer krabbelte, hüpfte oder glitschte davon. Nachdem die Luft wieder rein war, tauchten rings um sie herum Größten-Köpfe auf, von denen Strohhalme rieselten.
    »Holt mir meinen Anwalt«, sagte Tiffany fröhlich. »Ich glaube, dieser Arbeitsplatz könnte ihm gefallen.«
     
    Für einen Anwalt, der wusste, dass sein Honorar aus Käfern bestehen würde, legte der Kröterich großen Elan an den Tag.
    »Am besten fangen wir mit widerrechtlicher Festnahme an. So etwas sehen die Richter gar nicht gern. Wenn irgendwer ins Gefängnis befördert wird, möchten sie das lieber selbst besorgen.«
    »Hm, aber eigentlich habe ich mich selber eingesperrt«, sagte Tiffany. »Zählt das auch?«
    »Darüber würde ich mir momentan nicht den Kopf zerbrechen. Sie befanden sich in einem Nötigungsnotstand, Ihre Bewegungsfreiheit war stark eingeschränkt, und man hat Sie in Angst und Schrecken versetzt.«
    »Ich hatte weder Angst noch Schrecken! Ich hatte eine Stinkwut!«
    Der Kröterich patschte mit der Hand auf einen davontrippelnden Tausendfüßler. »Aber Sie wurden in Anwesenheit vierer bewaffneter Männer von zwei Mitgliedern des Adels verhört? Ohne Vorwarnung? Ohne Verlesung Ihrer Rechte? Und der Baron glaubt, Sie hätten seinen Vater ermordet und eine größere Geldsumme entwendet?«
    »Ich denke, Roland will das gar nicht glauben«, sagte Tiffany. »Jemand hat mich verleumdet.«
    »Dann müssen wir dagegen vorgehen, unbedingt. Er darf Sie nicht ohne jegliche Beweise in aller Öffentlichkeit des Mordes bezichtigen. Damit kann er sich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen!«
    »Oh«, sagte Tiffany. »Aber ich möchte nicht, dass er Ärger bekommt!« Da man bei einem Kröterich nur schwer erkennen kann, wann er schmunzelt, musste Tiffany es sich eben denken. »Hab ich etwas Komisches gesagt?«
    »Nein, nichts Komisches, nein, nicht per se . Aber etwas Trauriges und in gewisser Hinsicht Drolliges«, antwortete der Kröterich. »Wobei mit ›drollig‹ in diesem Fall ›bittersüß‹ gemeint ist. Dieser junge Mann erhebt Anschuldigungen gegen Sie, für die Sie – falls sie der Wahrheit entsprächen – in vielen Ländern dieser Welt zum Tode verurteilt werden würden, und trotzdem möchten Sie ihn schonen?«
    »Ich weiß ja, dass das ein bisschen gefühlsduselig ist, aber ihm sitzt die ganze Zeit die Herzogin im Nacken, und dieses Mädchen, das er heiraten will, ist ein waschlappiges Jammerläppchen …« Sie verstummte. Schritte kamen die steinerne Treppe herunter, die vom Rittersaal ins Verlies führte, und sie klangen definitiv nicht nach dem Poltern von beschlagenen Stiefeln, wie sie die Wachen trugen.
    Es war Lätitia, Rolands Braut, ganz in Weiß gewandet und in Tränen aufgelöst. Sie blieb vor Tiffanys Zelle stehen, klammerte sich an die Gitterstäbe und weinte und weinte: kein bitterliches Schluchzen, nur ein nicht enden wollendes Flennen und Schiefen und im-Ärmel-nach-dem-sowiesoschon-triefnassen-Spitzentaschentüchlein-suchendes-Weinen.
    Dabei sah sie Tiffany nicht einmal richtig an, sondern weinte nur auf Verdacht in ihre Richtung. »Es tut mir so leid! Es tut mir ja so leid! Was müssen Sie nur von mir denken?«
    Und so sah sich Tiffany plötzlich dem personifizierten Pferdefuß des Hexenberufs gegenüber. Dem Menschen, dessen bloße Existenz sie eines Abends auf die Idee gebracht hatte, ein Wachspüppchen mit Stecknadeln zu durchbohren. Sie hatte der Versuchung aus mehreren Gründen widerstanden: weil man so etwas einfach nicht machte, weil Hexen solche Praktiken ablehnten und weil es grausam und gefährlich war – aber vor allem auch, weil sie keine Stecknadeln finden konnte.
    Und jetzt war derselbe Mensch nur noch ein Häuflein Elend und derart verzweifelt, dass Anstand und Würde von einem Schwall kullernder Tränen davongespült wurden. Wie hätte der Hass dieser Flut standhalten sollen? Obwohl … richtiger Hass war es von Anfang an nicht gewesen, eher ein schmollender Groll. Tiffany war schon immer klar gewesen, dass sie für die Rolle der Prinzessin nicht in Frage kam, nicht ohne die langen blonden Haare. So etwas war im Märchenbuch einfach nicht

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