Das Mitternachtskleid
vorgesehen. Sie konnte es bloß nicht leiden, wenn man sie mit der Nase darauf stieß.
»Ich habe nie gewollt, dass es so kommt!«, blubberte Lätitia. »Es tut mir so leid, so unendlich leid. Was hab ich mir nur dabei gedacht?« Der nächste Tränenstrom ergoss sich auf ihr albernes Rüschenkleidchen und – oh nein, auch das noch: An der Spitze ihres perfekt geschnittenen Näsleins blähte sich ein kugelrunder Rotzballon.
Mit fasziniertem Grauen sah Tiffany zu, wie sich das weinende Mädchen unter lautem Gepruste die Nase putzte und – oh nein. Bitte nicht! Oh doch, sie tat es. Sie wrang über dem ohnehin schon tränennassen Boden auch noch das triefende Taschentuch aus.
»So schlimm wird es schon nicht sein«, sagte Tiffany laut, um nicht mit anhören zu müssen, wie der Guss auf die Pflastersteine platschte. »Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen, Sie müssten nur mal kurz mit dem Weinen aufhören.«
Prompt sprudelten die Tränen noch heftiger hervor, begleitet von einem echten, altmodischen Schluchzen, wie es Tiffany – bis heute – im wahren Leben noch nie begegnet war. In Büchern machten die Leute beim Weinen bu-huh , aber doch nicht in Wirklichkeit. Lätitia schon. Sie bu-huhte sich die Seele aus dem Leib, sodass einige Tränen als Querschläger bis zur Treppe spritzten. Doch in das Schluchzen mischte sich noch etwas anderes – Schlupfwörter, die, gut durchgefeuchtet, in Tiffanys Kopf landeten.
Sie dachte: Ach, tatsächlich? Doch bevor sie etwas sagen konnte, klapperte es auf den Stufen. Roland, die Herzogin und eine ihrer Wachen kamen eilig die Treppe heruntergelaufen, gefolgt von Brian, der ganz offensichtlich nicht die Absicht hatte, sich beim Klappern auf seinen eigenen Stufen von anderer Leute Wachmänner übertrumpfen zu lassen.
Roland, der in der Pfütze kurz ins Schlittern geriet, schlang schützend die Arme um die klamme Lätitia. Hinter ihnen warf sich die Herzogin so raumgreifend bedrohlich in Pose, dass den beiden Wachen für eigene Drohposen kaum noch Platz blieb und sie sich damit begnügen mussten, einander mit bösen Blicken zu durchbohren.
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«, herrschte Roland Tiffany an. »Wie haben Sie sie hier runtergelockt?«
Der Kröterich räusperte sich, um etwas zu sagen, was Tiffany kurzerhand mit einem Stiefelstupser unterband. »Kein Wort, du Amphibie«, zischelte sie. Sicher, er war ihr Anwalt, aber wenn die Herzogin sah, dass sie sich juristisch von einem Kröterich vertreten ließ, würde das ihre Lage nur noch verschlimmern.
Vielleicht wäre es allerdings besser gewesen, die Herzogin hätte den Kröterich doch gesehen, denn das böse Ende folgte auf dem Fuße. »Hast du das gehört? Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit! Sie hat mich eine Amphibie genannt!«, empörte sie sich.
Tiffany lag der Satz »Ich meinte nicht dich, ich meinte die andere« bereits auf der Zunge, aber sie schluckte ihn hinunter. Stattdessen setzte sie sich hin, schaufelte unauffällig eine Handvoll Stroh auf den Kröterich und wandte sich Roland zu. »Welche dieser Fragen soll ich als erste nicht beantworten? «
»Meine Leute wissen, wie man jemanden wie dich zum Sprechen bringt!«, rief die Herzogin über seine Schulter hinweg.
»Vielen Dank, aber ich kann schon sprechen«, sagte Tiffany. »Anfangs dachte ich, die pure Schadenfreude hätte sie hergetrieben, aber inzwischen glaube ich, dass diese trockene Erklärung nicht ausreicht.«
»Sie kann hier doch nicht raus, oder?«, fragte Roland den Feldwebel.
Der salutierte zackig und antwortete: »Nein, gnädiger Herr. Ich habe die Schlüssel beider Türen sicher in meiner Tasche verwahrt, gnädiger Herr.« Dabei warf er dem Wachmann der Herzogin einen selbstzufriedenen Blick zu, der sagen sollte: Jetzt kannst du mal sehen, wer hier die wichtigen Fragen gestellt kriegt und wessen prompte und präzise Antworten gefragt sind. So!
Die Wirkung wurde ein wenig dadurch getrübt, dass die Herzogin sagte: »Dieser Mann hat dich zweimal mit ›gnädiger Herr‹ statt mit ›Hochwohlgeboren‹ angeredet, Roland. Du darfst dir von den niederen Ständen solche Vertraulichkeiten nicht bieten lassen! Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
Tiffany hätte Roland am liebsten einen Tritt verpasst, weil er dieses Biest nicht sofort mit ein paar ausgesuchten Worten in die Schranken wies. Brian hatte ihm das Reiten beigebracht und das Fechten und das Jagen. Vielleicht hätte er ihm auch ein paar Manieren beibringen sollen.
»Eine
Weitere Kostenlose Bücher