Das mittlere Zimmer
Bett und las ihr ein paar Minuten lang aus einem Kinderbuch vor.
Als Rike ihn die Treppe herunterkommen hörte, erfüllte ein plötzlich aufwallendes Gefühl großer Zuneigung ihr Herz, und als er sich neben ihr auf dem Sofa niederließ, schmiegte sie sich eng an ihn und sah sich den Freitagabendkrimi mit ihm an. Es war kurz nach halb elf, als Achim gähnend verkündete, er sei todm üde.
Fünf Minuten später lagen sie nebeneinander im Bett, und Achim begann nach kü rzester Zeit zu schnarchen, während Rike das Gefühl hatte, immer wacher zu werden. Sie schlich ins Bad, nahm eine Schlaftablette, legte sich wieder hin und wartete darauf, dass die Tablette wirkte. Obwohl sie eigentlich an nichts als ihren neuen Garten denken wollte, schweiften ihre Gedanken ab und zu verstohlen zu beunruhigenden Fragen ab. Es machte Mühe, sie in eine andere Richtung zu lenken.
Kurz bevor sie endgültig in den Schlaf glitt, schien ihr noch, als schwelle in ihren O hren ein vertraut kreischendes Rauschen an, aber das war, möglicherweise, nur der Beginn eines Alptraums, und dann schwand ihr Bewusstsein.
Als sie die Augen aufschlug, war es trotz der geschlossenen Fensterläden schon hell im Zi mmer. Sie sah sofort, dass Achim nicht mehr im Bett lag, aber ein Duft nach frischem Kaffee verteilte sich durchs Haus. Ihr Blick fiel auf den Wecker: 7.30 Uhr. Rike streifte sich ihren geblümten Morgenmantel über, band die dicken Haare zusammen und ging nach unten.
In der Küche wurde sie von einem bereits fertig angezogenen Achim und einer Daumen lu tschenden Hannah empfangen. Sie saß in ihrem Hochstuhl und wartete auf das Frühstück, während ihr Vater mit irgendwie abwesendem Blick Käse, Wurst und Butter vom Kühlschrank auf den Tisch beförderte.
Als alle auf ihren Plätzen saßen und Brote schmierten, wurde es auffallend still in der Küche. Keiner sagte etwas, so als hinge jeder seinen eigenen Gedanken oder Gefü hlen nach. Wie auch Rike, der der Hauch einer Ahnung durchs Gehirn waberte, dass etwas Schlimmes passiert war, während sie geschlafen hatte. Etwas, das allerdings andererseits eine Verheißung in sich trug.
Eine Verheißung von was?! Hatte man ihr wieder Zeit weggenommen? Sollte sie dafür e twas anderes, etwas ungemein Kostbares erhalten? Aber was? Wo war dieses Etwas? Und warum -
„Wir sollten losfahren “, platzte Achim plötzlich in ihre Gedanken, stand auf und sah auf seine Armbanduhr. „Es ist halb neun. Wir müssen uns beeilen, sonst wird es zu voll.“
Rike nickte, und keine Viertelstunde später saß Hannah hinten im Kinde rsitz, während Rike sich vorn neben Achim niederließ. Er fuhr wortkarg und irgendwie unkonzentriert Richtung Supermarkt, der in einem Gewerbegebiet vor der nächsten Stadt lag. Roch es im Wagen nicht ein wenig nach frisch geschnittenem Gras?
Draußen war es trocken, aber wolkenverhangen. Auf den Wiesen und zwischen den Feldern blühten Bäume und Büsche. Als sie in bewohntere Gebiete kamen und an e iner Ampel halten mussten, fragte Achim beiläufig: „Ist dir aufgefallen, wie wenig auf den Straßen los ist?“
Rike nahm die Anspannung hinter der Frage sehr wohl wahr. Hatte er irgendeinen Ve rdacht?
„Ja“ , antwortete sie. „Und?“
Achim aber sagte nichts mehr und bog ein paar Minuten später auf den riesigen Parkplatz des Supermarkts ab, auf dem genau zwei Autos standen, ein rotes und ein schwarzes. Rikes Kehle fühlte sich mit einem Mal trocken an , ihr Herz schlug ein wenig schneller.
„Bleib mal mit Hannah hier sitzen, ich s eh nach, was los ist“, ordnete Achim an und murmelte, als er ausstieg: „Wahrscheinlich irgendein Feiertag, den wir vergessen haben.“
Rike wusste genau, dass sie nicht ,irgendeinen‘ Feiertag vergessen hatte. Sie sah durch die Windschutzscheibe zu, wie Achim zum Eingang des Supermarkts ging, sah, dass der Eingang sich nicht öffnete, sah von links einen Mann im Jogginganzug auf das schwarze Auto zutraben, das nahe am Eingang geparkt war, und sah Achim und den Mann ein paar Worte wechseln. Hinten im Wagen saß Hannah im Kindersitz und lutschte schmatzend am Daumen. Schließlich kam Achim zurück, ließ sich auf den Sitz fallen und schwieg.
Zwei Minuten lang hörte sich Rike dieses Schweigen an, dann wurde sie ungehalten. „Was ist los? Willst du mir nicht endlich verraten, was der Mann gesagt hat?!“
Achim schaute in die Ferne, während er antwortete. „Der Mann sagte, der Laden sei geschlossen, weil heute Sonntag
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