Das mittlere Zimmer
und ihre Hand drehte den Schlüssel.
Sie hatte keine Ahnung, was sie dazu trieb, in den Keller zu gehen, aber sie tat es trotzdem. Sie tat sogar etwas, das ihrem Wesen so fremd war, dass sie sich später fragte, ob sie noch bei Sinnen gewesen sein konnte. Sie stieg nämlich vorsichtig zwei der glatten Treppenstufen hinab, zog die Kellertür hinter sich zu und knipste das Licht nicht an. Im Stockfinstern tastete sie sich, die linke Hand am Geländer, mit den Füßen abwärts.
Bald merkte sie, dass sie immer wieder den Atem anhielt. Zu hören aber war nur das Su mmen der Heizung. Zu sehen war zunächst gar nichts ... doch allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und als Rike am Fuß der Treppe ankam, erhöhte sich ihr Herzschlag. Glomm nicht ein äußerst schwaches, fahlblaues, diffuses Licht durch die vielen Ritzen im Betonfußboden?
Rike starrte nach unten, bis ihr die Augen brannten. Irgendetwas war da. Ohne Zwe ifel. Aber statt in Panik und nichts als Panik zu verfallen, verharrte Rike reglos auf der Treppe und fühlte eine leise Sehnsucht in sich wachsen. Und wusste nicht, wonach.
Vielleicht hätte sie sich bis in alle Ewigkeit nicht von der Stelle bewegt, hätte nicht plöt zlich von oben eine Stimme weinerlich „Mama!“ gerufen. Um Himmelswillen, was machte sie denn hier?!
So schnell wie möglich tastete sie sich die Treppe hinauf, schob vorsichtig die Tür auf und nahm ihre Tochter auf den Arm, die schluchzend im Flur stand. Um sich selbst und Hannah abz ulenken, fuhr sie in die Stadt und kaufte ein.
In den nächsten Tagen wurde das Wetter trüber und kühler, aber noch regn ete es nicht. Rike arbeitete viel im Garten und ging am Donnerstagvormittag zum Friseur, nachdem sie Hannah zu ihrer Mutter gebracht hatte. Die ältere, füllige, kurzhaarige Friseuse, die Rike immer bediente, watschelte auf sie zu, kaum dass sie den Laden betreten hatte. Mit ihrem überlauten Organ rief sie überfreundlich aus: „Ach Frau Eberhardt, wie ich Sie um Ihre schönen, dicken Haare beneide!“
Von wegen schöne Haare. Widerspenstige Naturlocken, die man nur mit Gewalt zu einer Frisur zusammenzwingen konnte! Rike setzte sich auf den Stuhl und dachte zum wiederholten Mal daran, sich die Haare, die mehr als schulterlang waren, radikal abschneiden zu lassen … aber dann ließ sie doch nur die Spitzen schneiden.
Da ihre Mutter angeboten hatte, Hannah über Nacht da zu behalten, hatte sie Zeit, sich am Nachmittag mit zwei Freundinnen in der Stadt in einem Café zu treffen, wo sie ausgiebig über ihr neues Heim ausgefragt wurde. Natürlich wollten die beiden Freundinnen so bald wie möglich das berühmte Traumhaus sehen, aber Rike vertröstete sie auf den Sommer, wenn die Terrasse fertig war und man draußen sitzen könne. Dass sich hinter ihrer Erklärung eine unheilverkündende, finstere Ahnung verbarg, war Rike eher vage bewusst.
Als sie wieder zu Hause war, schob sie für sich und Achim, der schon vor dem Fer nseher saß, eine Pizza in den Backofen. Nach dem Abendessen räumten sie auf dem Dachboden ein paar Kartons aus.
Als Rike sich vorbeugte, um aus den Tiefen einer Kiste einen Aktenordner he rvorzukramen, fühlte sich Achim möglicherweise von diesem Anblick so inspiriert, dass er Rike vom Karton weg- und zu einer leicht angestaubten Matratze hinzog, die dort oben auf den nächsten Sperrmülltermin wartete. Achim war ungewohnt leidenschaftlich. Und so staubte die Matratze, und der Dielenboden knarrte.
Am Freitagvormittag fuhren sie gemeinsam in friedlicher, in geradezu verliebter Stimmung zum Baumarkt, um Fliesen für die Terrasse aus zusuchen. Wohl nur dank dieser Grundstimmung kam es bei der Wahl von Form und Farbe nicht zu Mord und Totschlag. Abschließend lud Achim Rike zum Essen ein. Gegen 14 Uhr holten sie Hannah ab und fuhren nach Hause.
Der Anblick ihres Traumhauses traf Rike neue rdings (seit der Doktor seine Geschichte erzählt hatte) jedes Mal wie ein Messerstich in den Rücken: eine schöne, idyllische Fassade - und dahinter ein unsäglicher, nicht zu begreifender Schrecken.
Das tat ihr körperlich weh, und trotzdem, in der Seele weh tat ihr auch die Vorstellung, d as Haus, in das sie so viel Geld und Arbeit gesteckt hatten, zu verlassen. Nein, das konnte sie nicht, nein, das war auch gar nicht nötig, denn es würde nichts mehr passieren. An diese Überzeugung klammerte sie sich, als Achim von der Hauptstraße auf ihr Grundstück abbog.
Nach dem Abendessen brachte Achim Hannah zu
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