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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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Umgehung des Samstags wieder am Sonntagmorgen aufwachen lassen.
    Immerhin brachte er Hannah zu Bett, setzte sich dann aber sofort vor den Fernseher. Rikes Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit war seit Tagen angewachsen. Sie ließ sich dicht neben Achim auf dem Sofa nieder und flüsterte ihm, während sie eine Hand auf seinen Obersche nkel legte, ins Ohr: „Was hältst du davon, wenn wir unserem schönen, neuen Schlafzimmer einen Besuch abstatten? Weißt du, in letzter Zeit denke ich oft daran, dass Hannah dringend ein Geschwisterchen braucht.“
    Achims Reaktion war ebenso unerwartet wie heftig. Er sprang auf, als hätte sie ihn gebissen, stellte sich vor den Couchtisch und fauchte: „Ach, ist es wieder so weit?! Läufst du wieder davon?! Du willst wohl nicht arbeiten gehen, wenn Hannah endlich im Kindergarten ist?! Für was hast du eigentlich studiert?! In der Schule halten sie dir deinen Arbeitsplatz warm und du willst dich mit zwei Kindern hier im Haus verkri echen?!“
    Er wandte sich ab, stapfte aus dem Zimmer und die Treppe hoch.
    Rike saß wie versteinert auf dem Sofa und fühlte sich, als hätte ihr jemand ein paar Ohrfeigen und gleichzeitig einen Boxhieb in den Magen verpasst. Was war d as denn gewesen?! Sie starrte auf den Fernsehbildschirm, ohne etwas zu sehen, und merkte, wie die Tränen zu laufen begannen. Eine halbe Stunde später trocknete Rike die Tränen ab, schnäuzte sich lautstark und schob Achims Verhalten auf seine Verstörung wegen des Zeitphänomens.
    S ie blieb vor dem Fernseher sitzen und sah sich ein paar Comedy-Sendungen an. Als sie sich gegen elf Uhr ins Bett legte, schlief Achim bereits, oder gab zumindest vor, es zu tun.
    Am nächsten Morgen herrschte eine recht frostige Atmosphäre zwischen ihnen, und Rike fuhr allein zum Einkaufen in den Supermarkt. Sie war sicher, dass sie am nächsten Tag auch allein zu den Wolters würde fahren müssen. Aber als sie nach Hause kam, war Achim besser g elaunt. Er schien erleichtert, dass sein Samstag nicht verloren gegangen war.
    Sie redeten höflich und ein wenig distanziert miteinander und gingen sich so oft wie möglich aus dem Weg. Das belastete Rike mehr als alle verschwundenen Stunden und Tage zusa mmen.
    Und so war sie froh, als sie am Sonntagnachmittag neben Achim im Auto saß, auf dem Weg zu Dr. Wolter und seiner Frau. Sie hatte ein wenig Wimperntusche und Lippenstift aufgelegt und einen engen, rosa Pullover mit tiefem Ausschnitt angezogen, was ihr bereits ein paar missbilligende Blicke von Achim eingebracht hatte. Gesagt hatte er nichts. Unterwegs schü ttete es wie aus Eimern.
    Gegen 15.30 Uhr erreichten sie die Einfahrt zu Wolters Grundstück. Das große , dunkle Backsteinhaus lag, von zwei gewaltigen Ulmen flankiert, etwa dreißig Meter von der Straße entfernt. Zu beiden Seiten der Einfahrt wuchs entlang der Straße eine Buchenhecke, dahinter gab es links eine Wiese mit ein paar Beeten voller Osterglocken, rechts eine schotterbedeckte Fläche, auf der mehrere Autos parken konnten. Der einzige Wagen, der heute dort stand, war ein alter Opel-Kombi in einem scheußlichen, graubraunen Farbton, wie Rike ihn noch nie gesehen hatte.
    Achim parkte daneben. Sie spannten beim Aussteigen ihre Schirme auf und eilten auf das Haus zu, dessen Fensterläden kräftig leuchtend blau gestrichen waren. Sie hatten das Haus noch nicht erreicht, als in der ebenfalls blau gerah mten Eingangstür Dr. Wolter erschien. Er blieb unter dem hölzernen Vordach stehen und winkte ihnen freudestrahlend zu.
    Erst als Rike ihn fast erreicht hatte, sah sie, dass er sich einen Vollbart hatte wac hsen lassen, der noch sehr kurz und auch sehr hell war. Wie auch auf seinem Kopf zeigten sich zwischen grauen hauptsächlich strohblonde Strähnen. Wolter lachte sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen hinter den riesigen Brillengläsern an und wirkte - eher ungewöhnlich - mit dem Bart jünger.
    Rike überreichte seiner Frau, die hinter ihm aufgetaucht war und ihn ein wenig zur Seite g eschoben hatte, zwei Flaschen Wein, und Frau Wolter bat ihre Gäste herein. Rike betrat einen schmalen, aber sehr langen Flur, der die untere Etage in zwei gleiche Hälften zu teilen schien. Die Wände waren weiß gestrichen, der Boden gefliest, überall hingen gerahmte Fotos von Hunden, Katzen, Schweinen, Kühen und Pferden.
    „ Hier unten sind die Praxisräume“, erklärte der Doktor und steckte beide Hände in die Taschen seiner dunkelgrauen Hose. „Die zeige ich Ihnen am besten nachher,

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