Das mittlere Zimmer
über die Möglichkeit nachzugrübeln, unbemerkt in einen der fünf verschlossenen Räume einzudringen.
Das Problem war: unbemerkt. Ohne hinterher aufgebrochene Schlösser auswechseln zu müssen. Johann durfte unter keinen , unter gar keinen Umständen bemerken, dass sie eins der Zimmer betreten hatte. Das würde er ihr nie verzeihen. Und weil ihr wieder keine gute Idee einfiel, steckte sie sich irgendwann die beiden Finger in den Mund und lutschte sich in den Schlaf.
Ein paar Tage später, es war ein trockener, warmer Morgen, mähte sie den R asen. Der Duft des frisch geschnittenen Grases hatte etwas Anregendes. Der alte Nero tollte wie ein junger Hund neben dem Rasenmäher her, die Vögel zwitscherten, und Rike schaute versonnen auf das Fenster des mittleren Zimmers im ersten Stock, dessen blaue Läden wie immer fest verschlossen waren. Und plötzlich schien der Knoten in ihren Gedanken zu platzen: wo stand denn geschrieben, dass sie durch die Türen musste?!
Kaum wurde Johann zum nächsten Notfall gerufen, als Rike in den Garten eilte und sich an den ebenfalls blauen, natürlich geschlossenen Fensterläden des Erdgeschosszimmers zu schaffen machte. Sie merkte bald, dass sie von außen nicht gewaltfrei zu öffnen waren. Also schleppte sie mit der Kraft der Besessenheit eine vier Meter lange Aluleiter aus dem Keller neben das Haus.
Wenn sie schon keinen Blick ins gut abgeschottete, mittlere Zimmer werfen konnte, wollte sie wenigstens versuchen, in das daneben liegende Schlafzimmerfenster von Johann zu spähen. Rasch kletterte sie die Leiter hoch, aber die hellen Vorhänge, die man auch von unten sehen konnte, waren lückenlos zugezogen. Keins der Fenster war offen, so dass ein unbemerktes Eindringen hier ebenfalls unmöglich war.
Rike schleppte die Leiter zurück in den Keller und zerbrach sich den Kopf über einen anderen Zugang.
Am nächsten Morgen sah es bereits früh nach einem ordentlichen Gewitter aus, und so hängte Rike die Wäsche auf die grünen Plastikleinen im rechten Dachboden. Sie nahm eins von Johanns Oberhemden aus dem Korb und schüttelte es kräftig aus, wobei plötzlich eine einzelne, dunkelblaue Socke, die sich im Hemd verfangen hatte, durch die Luft flog und unter der Schräge landete.
Rike ging hinüber, zog den Kopf ein und bückte sich, um die Socke aufzuheben. Dabei fiel ihr Blick in die tiefe, dunkle Ecke, die von der hinteren Flurwand, der tiefgezogenen Dachschräge und anscheinend der Wand zum linken verschlossenen Dachzimmer gebildet wurde. Rike stutzte. Die beiden Zimmer hatten eine gemeinsame Wand! War das die Lösung?! Konnte sie sich von hier aus Zugang zum linken Dachboden verschaffen?!
Das hing zweifellos davon ab, welche Art Wand sie vor sich hatte. Am liebsten hätte sie s ofort nachgesehen, aber sie zwang sich, erst mit vor Aufregung zitternden Händen die Wäsche aufzuhängen, bevor sie sich eine starke Taschenlampe aus dem Keller holte und aufpasste, dass sie Johann damit nicht in die Arme lief.
Oben auf dem Dachboden schaltete sie die Lampe ein und krabbelte auf allen Vieren die ei neinhalb Meter bis zur Rückwand der Nische, der gemeinsamen Rückwand von rechtem und von linkem Dachzimmer. Eine Holzwand.
Aber was, wenn das Holz eine Steinmauer verkleidete? Rike klopfte dag egen. Es klang gut, irgendwie dünn, irgendwie nicht massiv. Wahrscheinlich waren der kleine Flur und die Trennwände nachträglich in den Dachboden eingebaut worden, und man hatte sich nicht die Mühe gemacht, schwere Mauern einzuziehen. Rike fragte sich, ob sie sich durch die Wand vor ihr einfach hindurchsägen konnte.
Für den Rest des regnerischen Tages geisterte die Idee durch ihren Verstand, und als sie abends im Bett lag, begann sie bereits, ihr Vorhaben bis ins Detail und richtig gründlich zu planen. Sie ging jeden Schritt dreimal durch und schlief sogar ohne Alkohol ein.
Am nächsten Morgen fuhr sie zur Garage, um nachzusehen, ob die Familie schon aufgetaucht war, und anschließend zu einem Elektromarkt, in dem sie sich einen stabilen Pappkarton besorgte, den sie zusammengefaltet in ihr Zimmer schmuggelte. Aus einem der Seitenteile bastelte sie sich eine Art Schablone und schnitt ein Loch in die Pappe, durch das sie eben gerade so ihren Körper hindurchwinden konnte.
Noch am gleichen Tag wurde Johann zu Bauer Jungbluth gerufen, dessen Pferd mit Kol iken kämpfte.
Rike nutzte die Zeit, sich im Keller mit Werkzeugen auszustatten und sie nach oben zu tr agen. Sie heftete die
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