Das Model und der Scheich
luftiges großes Zimmer, das offensichtlich fast das gesamte Erdgeschoss einnahm. In der Einrichtung und Möblierung fanden sich mit spielerischer Leichtigkeit Osten und Westen, Tradition und Moderne vereint – ohne dass es ein Widerspruch gewesen wäre.
Während ein Ende des Raumes mit Sitzecke und Couchtisch eingerichtet war, befanden sich am anderen weiche Polster auf einem großen handgeknüpften Teppich.
Vor der Mittagshitze schützten außer den dicken Mauern dunkelgrüne Jalousien.
An der rechten Seite führten Glastüren hinaus zu einem in Mosaik gearbeiteten Wasserbassin mit Fontäne, so wie Desirée es vom Palast her kannte. Die linke Seite bestand aus einer erstaunlichen Säulen- und Bogenreihe, die den Blick auf weitere Säulen und Bögen freigab – bis zu einem entfernten sonnigen Hof.
Es dauerte eine Weile, bis Desirée begriff, dass es sich um Illusionsmalerei handelte. In Wahrheit stand sie vor einer Wand!
„Unglaublich!“, rief sie aus.
„Ja, nicht wahr? Wir finden es auch ganz witzig“, meinte Nadia lachend. „Salih, du hast es auch noch nicht fertig gesehen, stimmt’s? Da sieht man, wie lange du nicht mehr hier warst. Anna hat die Arbeiten daran vor ungefähr einem Vierteljahr beendet. Perfektionistisch, wie sie ist, kam sie eine Zeit lang immer wieder, um noch ein paar Feinheiten zu verbessern.“
„Es ist wirklich wunderbar“, bestätigte Salih.
„Wirkt wie in einem Palast, oder?“, fragte Nadia.
„Ja“, antwortete Desirée, „wie in einem Märchenbuch. Wer ist die Künstlerin?“
„Vielleicht hast du schon von ihr gehört. Sie ist Engländerin, lebt aber hier in Barakat. Sie heißt …“
„Oh! Etwa Anna Lamb? Natürlich!“, rief Desirée aus. „Nachdem sie in London das Porträt von Gräfin Esterhazy gemalt hatte, wurde sie berühmt und konnte sich vor Aufträgen kaum retten.“
Nadia sah sie einen Augenblick an, dann hellte sich ihr Gesicht auf.
„Und du … Ich wusste, dass ich dein Bild schon irgendwo gesehen habe. Du bist Desirée! Ich fasse es nicht!“
Lachend meinte Desirée: „Ich habe nicht damit gerechnet, erkannt zu werden. So weit weg von … zu Hause.“ Glücklicherweise hatte sie nicht der Zivilisation gesagt …
„Auch hier in Westbarakat lesen wir die Vogue. Aber was machst du hier? Und woher kennst du Salih?“
In diesem Augenblick betrat ein schlanker Mann mit sonnengebräuntem Gesicht den Raum, gefolgt von zwei Dienern, die Tabletts trugen.
„Salih! Welche Freude, dich zu sehen!“, rief der Mann. „Was führt dich nach Qabila?“ Herzlich umarmten sich die beiden.
Salih wandte sich um. „Desi, das ist Ramiz. Einer meiner besten Freunde.“
Alle vier nahmen um den Couchtisch herum Platz, auf dem Krüge mit Wasser und Säften und hohe Gläser bereitgestellt worden waren.
„Also, warum bist du hier?“, wandte sich Nadia an Desirée. „Als Touristin? Oder beruflich? Macht ihr hier in Barakat Modeaufnahmen?“
„Nein. Wegen etwas, was ich viel interessanter finde. Für Aufnahmen würde ich kaum tagelang in der Wüste campen.“ Sie sprach nicht weiter, weil sie sich nicht sicher war, ob Salihs Freunde von den Ausgrabungen seines Vaters wussten.
„In der Wüste campen?“, wiederholte Nadia staunend. „Bei der Hitze?“
„Desi möchte eine Ausgrabungsstätte besuchen, an der zurzeit gearbeitet wird“, meinte Salih. „Darum nehme ich sie zu Baba mit.“
Fragend hob Ramiz eine Augenbraue. Nach einem kurzen Blick zu Salih senkte er die Lider und schwieg.
Da drang die Stimme eines Kindes aus einem Zimmer. Als sie aufsah, erkannte Desirée, dass einer der Bögen nicht gemalt, sondern echt war.
„Aber warum habt ihr das …“, setzte Nadia an.
„Du hast Safiyah lange nicht gesehen“, unterbrach Ramiz, an Salih gewandt. „Sie hat dich sehr vermisst. Du wirst dich wundern, wie groß sie und Tahir geworden sind.“
„Ayna Safiyah?“, rief Salih.
Fröhliches Kinderlachen antwortete ihm, und ein kleines Mädchen kam in den Raum gerannt – geradewegs in Salihs Arme. Hinter ihr erschien eine Frau mit einem Baby auf dem Arm.
„Aga Salih!“, rief die Kleine.
Desirée beobachtete, wie er das Mädchen hoch in die Luft hob. Dabei wirkten seine Gesichtszüge plötzlich sanft und entspannt – so wie sie Salih in Erinnerung hatte. Also gab es ihn noch, den Mann, den sie liebte. Doch wie konnte sie an ihn herankommen?
„Habt ihr wirklich zu dieser Jahreszeit in der Wüste gecampt?“, begann Nadia aufs Neue. „Was denkt
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