Das Mönchskraut
Gute!« rief er Meurig nach. »Du hast deinem alten Onkel heute einen Teil seiner Jugend zurückgegeben. Ich glaube, deine Familie kann stolz auf ihre Söhne sein!«
Meurig blieb stehen, drehte sich um und sah Cadfael mit großen schwarzen Augen an. »Meine Familie ist die Familie meiner Mutter, und an die halte ich mich. Mein Vater ist kein Waliser.«
Dann lief er weiter, die Umrisse seiner breiten Schultern verschwanden in der Abenddämmerung. Und Cadfael machte sich Gedanken über ihn, ebenso wie über den leibeigenen Aelfric, bis er die Säulenhalle vor der Kirche erreichte. Dann widmete er sich dringlicheren Pflichten. Immerhin waren diese Leute für sich selbst verantwortlich und gingen ihn nichts an.
Noch nicht ...
2. Kapitel
Es war schon Mitte Dezember, als der ernste, verschlossene Diener Aelfric zum zweitenmal in den Gartenschuppen kam, um Küchenkräuter für seine Herrin zu holen. Mittlerweile war er zu einer vertrauten Gestalt geworden, die sich in das tägliche Kommen und Gehen im großen Klosterhof einfügte. Inmitten des lärmenden, lebhaften Verkehrs blieb der einsame, wortkarge junge Mann meist unbeachtet. Manchmal hatte Cadfael ihn morgens zur Bäckerei gehen sehen, wo er Brotlaibe holte, oder zu den Vorratskammern, wo man ihm das tägliche Quantum Bier aushändigte. Stets blieb er stumm und in sich gekehrt und durchquerte mit schnellen Schritten den Hof, als würde eine Verspätung, mochte sie auch noch so geringfügig sein, eine harte Strafe nach sich ziehen. Bruder Mark fühlte sich zu dieser Menschenseele hingezogen, die ihm ebenso einsam und verängstigt erschien, wie er es selbst einmal gewesen war. Er hatte versucht, Aelfric in ein Gespräch zu verwickeln, ohne nennenswerten Erfolg.
»Ein bißchen was hat er mir erzählt«, berichtete er nachdenklich, während er in Cadfaels Schuppen eine Salbe anrührte. »Ich glaube, er schleppt irgendeinen geheimen Kummer mit sich herum, sonst wäre er viel freundlicher.
Manchmal lächelt er sogar, wenn ich ihn grüße, aber er bleibt nie stehen, um mit mir zu reden.«
»Er hat seine Arbeit - und vielleicht sehr strenge Herrschaften«, meinte Cadfael mit milder Stimme.
»Ich habe gehört, daß sich Master Bonel nicht wohl fühlt, seit er hier eingezogen ist. Er ist nicht krank, aber ständig mißgelaunt - und er hat keinen Appetit.«
»So würde es mir auch ergehen, wenn ich nichts anderes zu tun hätte, als herumzusitzen und Trübsal zu blasen - und wenn ich mich ständig fragen müßte, ob es richtig war, daß ich mich angesichts meines Alters von Haus und Hof getrennt habe.
Viele sehnen sich nach einem ruhigen, beschaulichen Leben, und wenn sie dann ihr Ziel erreicht haben, sind sie unzufrieden.«
»Das Mädchen ist hübsch«, sagte Mark mit Kennermiene.
»Hast du sie schon gesehen?«
»Nein. Und du solltest keine Frauen anstarren, mein Junge.
Sie ist also hübsch?«
»Sehr hübsch. Nicht besonders groß und gut gebaut - mit langem blondem Haar und schwarzen Augen ... Das ist ein reizvoller Gegensatz, dieses helle Haar und die dunklen Augen ... Gestern sah ich sie zum Stall laufen. Dort richtete sie Aelfric etwas aus, und als sie wieder wegging, schaute er ihr nach.
Dabei machte er ein ganz komisches Gesicht. Vielleicht ist sie die Quelle seines Kummers.«
Das mag sein, dachte Cadfael, falls er ein Leibeigener ist und sie eine freie Frau, die sich nicht für einen Mann von so niederem Stand interessiert - und wenn sie in dem kleinen Haus am Mühlenteich Tag für Tag beisammen sind auf viel engerem Raum als im Haus Mallilie ...
»Dich könnte sie auch in Schwierigkeiten bringen, mein Junge, wenn Prior Robert oder Bruder Jerome merken, daß sie dir gefällt. Wann immer du ein schönes Mädchen bewundern willst - dann nur aus den Augenwinkeln! Vergiß nicht, daß wir uns hier seit neuestem an die Reformgesetze halten müssen.«
»Oh, ich werde schon aufpassen!« Marks Respekt vor Bruder Cadfael ließ zusehends nach, und er hatte bereits dessen unorthodoxe Ansichten übernommen. Jedenfalls stand sein künftiger Beruf nun außer Zweifel und war nicht mehr gefährdet. Wenn die Zeiten nicht so unsicher wären, würde er vielleicht nach Oxford gehen und studieren, überlegte Cadfael, aber da diese Möglichkeit ausfällt, wird er Priester werden - ein guter Priester, der die Existenz von Frauen auf dieser Welt nicht leugnet und ihren Wert zu schätzen weiß. Mark war unfreiwillig ins Kloster gekommen, hatte inzwischen jedoch erkannt, daß er
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