Das Mönchskraut
mittlerweile schon Großvater. Sooft ich dich heute nachmittag ansah, forschte ich in meinem Gedächtnis - aber es wollte mir einfach nicht einfallen, warum du mir so bekannt vorkamst. Und als meine Verzweiflung am größten war, wurde dein Name genannt.«
»Und ich hatte keine Ahnung, daß du Mistreß Bonel bist. Ich wußte nicht, daß Edward Gurney tot ist - jetzt erinnere ich mich endlich wieder an seinen Namen - und daß du noch einmal geheiratet hast.«
»Das war vor drei Jahren.« Ihr tiefer Seufzer hätte sowohl Bedauern als auch Erleichterung über das plötzliche Ende ihrer zweiten Ehe ausdrücken können. »Du darfst nicht glauben, daß er ein schlechter Mann war, Cadfael, nur alt und festgefahren in seinen Ansichten, und er war es gewöhnt, daß man ihm aufs Wort gehorchte. Er hatte schon vor vielen Jahren seine erste Frau verloren und er hatte keine Kinder, zumindest keine ehelichen. Monatelang machte er mir den Hof, ich fühlte mich einsam - und eines Tages gab er mir jenes Versprechen ... Da er keinen legitimen Erben hatte, versicherte er mir, daß er Edwin sein ganzes Hab und Gut hinterlassen würde, wenn ich ihn heiratete. Sein Oberlehnsherr erklärte sich damit einverstanden. Doch jetzt muß ich dir erst einmal von meiner Familie erzählen. Ein Jahr nachdem ich Ewards Frau geworden war, brachte ich meine Tochter Sibil zur Welt. Danach vergingen die Jahre, und Gott schenkte uns keine Kinder mehr.
Ich weiß nicht, wieso. Vielleicht erinnerst du dich, daß Eward eine Zimmermanns - und Schnitzereiwerkstatt in Shrewsbury besaß. Er war ein tüchtiger Mann und ein guter Ehegatte.«
»Du warst glücklich mit ihm?« fragte Cadfael, grenzenlos erleichtert, weil er die Antwort bereits aus ihrer Stimme herausgehört hatte.
Die Trennung und die Jahre danach waren ihnen also beiden gut bekommen, und jeder hatte seinen richtigen Platz im Leben gefunden, trotz einer schmerzlichen Jugendliebe.
»Sehr glücklich! Ich hätte mir keinen besseren Mann wünschen können. Aber wir hofften vergeblich auf weitere Kinder. Mit siebzehn heiratete Sibil Ewards Gesellen, Martin Bellecote, einen braven Burschen. Sie wurde in ihrer Ehe ebenso glücklich wie ich in der meinen, dem Himmel sei Dank!
Zwei Jahre später war sie schwanger, und da wurde ich selbst wieder jung. Ich freute mich wahnsinnig auf meinen ersten Enkel, umsorgte Sibil und schmiedete Pläne für ihre Niederkunft. Eward war ebenso stolz wie ich, und obwohl wir schon so ein altes Ehepaar waren, turtelten wir wieder miteinander wie in den Flitterwochen. Ich weiß nicht recht, wie es geschah - aber als Sibil im vierten Monat war, stellte ich fest, daß auch ich ein Kindchen unter dem Herzen trug! Nach all den Jahren, nach meinem vierundvierzigsten Geburtstag? Es erschien mir wie ein Wunder. Wir gebaren zwei Buben mit einem Altersunterschied von vier Monaten - Onkel und Neffen.
Und der Onkel ist der jüngere! Beide sehen meinem Mann ähnlich, und seit sie auf ihren eigenen Beinen stehen können, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel - sie sind sich näher als so manche Brüder, und beide sind wild wie junge Füchse. Das wären also mein Sohn Edwin und mein Enkel Edwy, noch keine fünfzehn Jahre alt. Und nun flehe ich dich an, meinem Edwin zu helfen, Cadfael. Ich schwöre dir, daß er in seinem ganzen Leben keine einzige böse Tat begangen hat und auch gar nicht dazu fähig wäre. Aber der Wachtmeister bildet sich nun mal ein, daß Edwin Gift in diese Schüssel gegossen hat. Wenn du ihn nur kennen würdest, Cadfael - dann wüßtest du, was für ein Unsinn das ist!«
Ja, so hörte es sich an, wenn die Stimme der liebenden Mutter davon sprach - aber es war schon vorgekommen, daß Söhne - noch keine vierzehn Jahre alt - ihre Väter aus dem Weg geräumt hatten. Außerdem war Bonel nicht einmal Edwins leiblicher Vater gewesen, und die anderen hatten sich allem Anschein nach nicht geliebt.
»Erzähl mir von deiner zweiten Ehe«, bat Cadfael, »und von dem Handel, den du mit Bonel eingegangen bist.«
»Nun, Eward starb, als Edwin neun Jahre alt war, Martin übernahm die Werkstatt und führt sie im Sinne seines Schwiegervaters. Wir lebten alle zusammen, bis Gervase auftauchte, eine Wandtäfelung für sein Haus bestellte und Gefallen an mir fand. Er war ein stattlicher Mann, bei bester Gesundheit und sehr aufmerksam. Und eines Tages versprach er mir, Edwin zu seinem Erben einzusetzen, wenn ich ihn heiraten würde. Sibil und Martin hatten drei weitere Kinder
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