Das Mönchskraut
bekommen, und da mein Schwiegersohn so viele Münder stopfen mußte, brauchte er alles, was die Werkstatt abwarf, für seine eigene Familie. Und so mußte ich selbst für Edwins Zukunft sorgen.«
»Aber die Dinge entwickelten sich anders, als du dachtest, und das ist nicht verwunderlich. Ein älterer Mann, der keine eigenen Kinder hatte, und ein lebhafter junger Bursche - es konnte gar nicht ausbleiben, daß sich die beiden in die Haare gerieten.«
Sie seufzte. »Leider hast du recht. Ich habe ihn vielleicht nicht streng genug erzogen. Er war an seine Freiheit gewöhnt, er hatte stets getan, was ihm beliebte, und natürlich trieb er sich weiterhin mit Edwy herum. Gervase machte ihm Vorwürfe, weil er sich mit einfachen Leuten und Handwerkern abgab. Er meinte, das wäre unter der Würde seines Stiefsohnes und künftigen Erben. Edwin ärgerte sich darüber, denn er liebt seine Verwandten sehr. Zudem hatte er noch andere Freunde, die bei weitem nicht so ehrbar wie die Familie meiner Tochter und Gervase erst recht ein Dorn im Auge waren. Die beiden stritten tagtäglich. Wenn Gervase ihn verprügelt hatte, flüchtete Edwin in Martins Haus und blieb tagelang dort. Wenn Gervase ihn einsperrte, brach er die Tür auf oder rächte sich auf andere Weise. Schließlich erklärte mein Mann, da der Balg Geschmack an der niedrigen Lebensart fände und die Gesellschaft der Handwerker so schätzte, sollte er sich lieber irgendwo als Lehrling verdingen, statt mit üblem Gesindel in der Stadt herumzustreunen. Und obwohl Edwin es besser wußte, befolgte er diesen Ratschlag buchstabengetreu, worauf Gervase noch wütender wurde. Damals beschloß er, sein Landgut der Abtei zu schenken und auf deren Grund und Boden seinen Lebensabend zu verbringen. ›Die Ländereien, die ich ihm vermachen wollte, bedeuten ihm nichts‹, behauptete er. ›Warum soll ich meinen Besitz für einen so undankbaren Burschen bewahren?‹ Und so traf er jene Vereinbarung mit dem Kloster und bereitete seinen Umzug vor.«
»Was hat der Junge dazu gesagt?«
»Er kam reumütig nach Hause und schwor, daß er Mallilie liebte und das Landgut gewissenhaft verwalten wollte, wenn es ihm einmal gehören würde. Aber Gervase gab nicht nach, so inständig wir ihn auch baten, sich anders zu besinnen. Edwin ärgerte sich maßlos, denn immerhin hatte sein Stiefvater versprochen, ihm seinen Besitz zu vererben. Und mein Sohn fand, daß man ein Versprechen halten müßte. Aber der Entschluß meines Mannes stand fest. Da Edwin nicht sein leiblicher Sohn ist, wurde er nicht um seine Zustimmung gebeten - die er natürlich niemals gegeben hätte. Außer sich vor Zorn, kehrte er zu Sibil und Martin zurück, und seither habe ich ihn nicht mehr gesehen -- bis zu diesem Tag. Ich wünschte, er wäre auch heute nicht gekommen. Aber er war hier - und nun jagt ihn der Wachtmeister des Landrats wie einen Schwerverbrecher, der imstande wäre, den Ehemann seiner Mutter zu töten! So ein Gedanke würde dem Jungen niemals in den Sinn kommen, Cadfael, glaub mir! Und wenn sie ihn festnehmen ... Ich kann es nicht einmal ertragen, mir das vorzustellen!«
»Hast du nichts mehr gehört, seit die Beamten das Haus verlassen haben? In dieser Gegend verbreiten sich die Neuigkeiten sehr schnell. Man hätte uns ganz bestimmt verständigt, wenn sie ihn zu Hause angetroffen hätten.«
»Bis jetzt habe ich keine Nachricht erhalten. Wo sollte er denn sonst sein - wenn nicht bei Martin? Er hatte keinen Grund, sich zu verstecken. Als er von hier wegrannte, konnte er nicht ahnen, was danach geschehen würde. Er war wütend, weil er hier so unfreundlich empfangen worden war - aber das hat ihn wohl kaum veranlaßt, sich irgendwo zu verkriechen.«
»Nun, vielleicht wollte er in dieser schlechten Stimmung nicht sofort nach Hause gehen und erst mal mit sich selbst ins reine kommen. Viele Menschen pflegen sich zu verstecken, wenn sie unglücklich sind, und lassen sich erst wieder blicken, wenn der Kummer nachgelassen hat. Erzähl mir alles, was beim Mittagessen vorgefallen ist. Anscheinend war Meurig dein Unterhändler und hat schon seit geraumer Zeit versucht, Edwin hierherzubringen und zu einer Versöhnung mit seinem Stiefvater zu bewegen. Soviel ich mich erinnere, wurde erwähnt, daß Edwin schon vorher im Kloster war ...«
»Aber nicht bei mir«, sagte Richildis traurig. »Die beiden trugen das Lesepult ins Kloster, das Martin für die Marienkapelle angefertigt hatte, und als Meurig zu seinem Großonkel ins
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