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Das Mönchskraut

Das Mönchskraut

Titel: Das Mönchskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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arbeitsfähig, Bruder, dank deiner Heilkünste. Ich könnte die Schafe heute selbst in den Stall bringen.«
    »Das wirst du bleiben lassen!« erwiderte Cadfael energisch.
    »Denn das ist meine Aufgabe, nachdem ich den ganzen Tag gefaulenzt habe. Schau uns zu, wie uns dein Brot schmeckt, und gib dich damit zufrieden. Die Kunst des Bäckers ist mir fremd, aber ich weiß sie zu schätzen und bin stets dankbar für die Errungenschaften anderer Leute.«
    Man speiste früh in Rhydycroesau, nachdem man den ganzen Tag, seit dem frühen Morgen, an der frischen Luft gearbeitet hatte. Ein schwaches Dämmerlicht lag über den Bergen, im Osten dunkle Bläue, im Westen ein blasser Schein, als Cadfael den Hang hinaufstieg, um die trächtigen Mutterschafe zum Stall zu führen. Die Abtei besaß nur wenige solche Tiere, und sie waren kostbar. Manchmal gebaren sie sogar Zwillinge, die beide überlebten, wenn man sie gewissenhaft versorgte. Cadfael erkannte, daß die Pflichten eines Schäfers tiefe Befriedigung schenkten. Die Kinder seiner Einsamkeit fanden nur selten den Tod, starben nur an Krankheiten, Verletzungen oder Altersschwäche, oder wenn man sie in schlimmen Wintermonaten nicht durchfüttern konnte.
    Ihre Wolle und ihre Milch waren wertvoller als ihr Fleisch. Und falls man sie notschlachten mußte, konnte man immer noch ihre Häute verwerten. So führten sie ein nützliches Leben, wurden ihren Betreuern lieb und vertraut, wurden verstanden, und man gab ihnen sogar Namen. Ein Schäfer hatte seine eigene Gemeinde, bevölkert von sanften, eigenwilligen, stillen Gefährten, die weder mordeten noch stahlen, keine Gesetze verletzten, keine Beschwerden vorbrachten und keine Revolten anzettelten.
    Trotzdem, dachte er, während er mit langen, mühelosen Schritten bergauf stieg, ich könnte nicht allzu lange Schäfer sein. Ich würde all die Dinge vermissen, die ich beklage, das Trachten der Menschen nach Gut und Böse. Und dieser Gedanke erinnerte ihn wieder an die Kämpfe, Siege und Opfer des vergangenen Tages.
    Am Grat des Berges blieb er stehen, um den Einbruch der Nacht zu beobachten. Er wußte, daß man ihn im Umkreis von vielen Meilen sehen konnte. Sterne begannen am tiefblauen Himmel zu blinken, so schwach und undeutlich, daß man es nur aus den Augenwinkeln wahrnahm und daß sie sofort erloschen, wenn man sie direkt anschaute.
    Er blickte auf die eingefriedeten Hürden, die dunklen Gebäude und war sich nicht sicher, ob er an der Stallecke eine Bewegung gesehen hatte. Die Mutterschafe, an eine bevorzugte Behandlung gewöhnt, umringten ihn freiwillig, um in den warmen, nach Fell duftenden Stall zu gehen und dort die Nacht zu verbringen. Träge schaukelten ihre runden Bäuche hin und her, während sie herankamen. In der Dunkelheit blitzten ihre gelben Augen nur hin und wieder auf.
    Als Cadfael langsam hinabstieg, folgten sie ihm auf ihren kleinen, beweglichen Füßen, eng aneinandergedrängt, umgeben vom Duft ihrer weichen Wolle, der sie wie eine Wolke einhüllte. Er zählte sie, rief leise zwei Nachzügler zu sich, junge Tiere, die zum erstenmal lammen würden und noch keine Verantwortung kannten. Eilig schlossen sie sich den anderen an. Nun hatte er sie alle beisammen.
    Nur Cadfael und seine kleine Herde schienen in der stillen, leeren Nacht zu existieren. Oder war da unten jemand zwischen den Gebäuden aufgetaucht, um sich sofort wieder zurückzuziehen? Ein Glück, daß Bruder Simon und Bruder Barnabas seinen Rat befolgt hatten und in der warmen Hütte geblieben waren ... Wahrscheinlich dösten sie vor der Kohlenpfanne.
    Er brachte seine Schützlinge zu dem großen Stall hinab, der zur Hälfte leergeräumt war und den Schafen als Quartier dienen sollte, bis sie lammten. Die breite Tür ging nach innen auf. Er öffnete sie und scheuchte seine Herde hinein. Eine volle Futterkrippe und ein Wassertrog standen bereit. Die Schafe brauchten kein Licht, um ihren Weg zu finden. Vage Schatten erfüllten den Raum, der nach getrocknetem Heu und Klee und Schaffell roch. Die Bergschafe hatten nicht das langhaarige, krause Fell ihrer Artgenossen, die im Tiefland grasten, aber ein dichtes, kurzes Vlies, das fast ebensoviel Wolle von minderer Qualität ergab, und sie nutzten die Weideflächen, die ihre verwöhnten Vettern verschmähten. Allein schon der Käse, den die Bergschafe spendeten, lohnte ihre Haltung.
    Cadfael trieb den letzten und eigensinnigsten seiner Schutzbefohlenen in den Stall, dann trat er selbst in das Dunkel. Sekundenlang

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