Das Mörderschiff
sinnend an und sagte: »Mr. Petersen oder Mr. Calvert, und ich hörte auch, wie Lavorski Sie Johnson genannt hat …«
»Ich gebe zu, daß das einen etwas konfus machen kann«, sagte ich. »Calvert. Philip Calvert.«
»Also gut, Philip.« Sie betonte den Namen französisch, und es hörte sich wirklich sehr nett an. »Ich kann nur sagen, daß Sie ein großer verdammter Narr sind, wenn Sie so weitermachen. Sie befinden sich in Lebensgefahr.«
»Mr. Calvert«, sagte Onkel Arthur sauer – nicht das, was sie sagte, mißfiel ihm, vielmehr ihre vertrauliche Art, mich beim Vornamen zu nennen, was zwischen der Aristokratie und normalen Sterblichen durchaus nicht üblich ist –, »ist sich durchaus der Gefahr bewußt. Er drückt sich nur manchmal unglücklich aus, das ist alles. Sie sind eine außerordentlich tapfere Frau, Charlotte.« (Wenn Blaublütige sich gegenseitig beim Vornamen nennen, dann ist das natürlich etwas ganz anderes). »Sie sind ein sehr großes Risiko eingegangen, indem Sie gelauscht haben. Sie hätten ja dabei überrascht werden können.«
»Ich wurde dabei überrascht.« Nur ihre Mundwinkel hoben sich etwas, ihre Augen jedoch blieben ernst. »Das ist ein weiterer Grund, warum ich hier bin. Ich wäre auch, ohne zu wissen, daß Sie in Gefahr sind, zu ihnen gekommen. Mein Mann hat mich dabei überrascht. Er brachte mich in meine Kabine.« Sie stand etwas unsicher auf, drehte sich mit dem Rücken zu uns und hob das feuchte dunkle Hemd hoch. Quer über ihren Rücken liefen drei große blaurote Striemen. Onkel Arthur stand stocksteif da, ein Mann, der unfähig war, sich zu bewegen. Ich ging durch den Salon und betrachtete den Rücken. Die Striemen waren ungefähr zwei Zentimeter breit, und fast ihr ganzer Oberkörper war damit bedeckt. Hier und da waren kleine blutunterlaufene Einstiche zu sehen. Vorsichtig versuchte ich einen dieser Striemen mit dem Finger zu berühren. Das Fleisch war aufgedunsen und geschwollen. Ein frischer Striemen. Der frischeste, echteste, den ich je gesehen hatte. Sie bewegte sich nicht.
»Das ist nicht sehr nett, nicht wahr, es fühlt sich auch nicht sehr nett an.« Sie lächelte, es war wieder das gleiche Lächeln. »Ich könnte Ihnen noch Schlimmeres zeigen.«
»Nein, nein«, sagte Onkel Arthur hastig. »Das ist nicht notwendig.« Einen Augenblick schwieg er, dann brach es aus ihm heraus: »Meine liebe Charlotte, was müssen Sie gelitten haben. Das ist teuflisch, absolut teuflisch. Er muß einfach unmenschlich sein. Ein Monstrum. Vielleicht stand er unter dem Einfluß von Drogen. Ich hätte das nie für möglich gehalten!« Sein Gesicht war krebsrot vor Wut, und seine Stimme hörte sich so an, als ob Quinn ihn an der Gurgel hätte und er wäre kurz vorm Ersticken. »Niemand würde das jemals geglaubt haben.«
»Außer der verstorbenen Lady Skouras«, sagte sie ruhig. »Jetzt begreife ich, warum sie mehrfach, ehe sie starb, in ein Sanatorium für Geisteskranke eingeliefert wurde.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht den Wunsch, den gleichen Weg zu gehen. Ich bin aus härterem Holz als Madelaine Skouras. Deshalb nahm ich mein Zeug und lief fort.« Sie zeigte auf den kleinen Kunststoffsack mit Kleidern, den sie sich um die Hüften gebunden hatte. »Das sieht beinah aus, als ob ich ein richtiger Agent sei, nicht wahr?«
»Sie werden lange vor Mitternacht hier sein, wenn sie feststellen, daß Sie fort sind.«
»Vielleicht dauert es bis morgen früh, bis sie es merken. In den meisten Nächten schließe ich meine Kabine von innen ab, heute allerdings habe ich sie von außen verschlossen.«
»Das ist gut«, sagte ich. »Aber daß Sie hier in Ihren nassen Kleidern herumstehen, ist nicht gut. Es hat keinen Sinn, davonzulaufen, um dann an einer Lungenentzündung zu sterben. Sie finden in meiner Kabine Handtücher. Und dann können wir versuchen, Ihnen ein Zimmer im Columba-Hotel zu besorgen.«
»Ich hatte mir mehr erhofft.« Sie ließ plötzlich die Schultern sinken. Oder war das nur eine Einbildung von mir? Aber die grenzenlose Hoffnungslosigkeit in ihren Augen war keine Einbildung. »Genau dort würden sie mich suchen, es gibt für mich keinen sicheren Platz in Torbay. Sie werden mich einfangen, mich zurückbringen, und mein Mann wird mich wieder in die Kabine einsperren. Meine einzige Hoffnung ist die Flucht. Bitte, können wir nicht gemeinsam fliehen?«
»Nein.«
»Sie sind kein Mann der Ausflüchte, nicht wahr?« Sie sah so verloren und dabei doch so stolz
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