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Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition)

Titel: Das Möwennest (Het Meeuwennest) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
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eigentlich Möwennest genannt?“, fragte er, nachdem er noch einmal den Gebäudeplan studiert hatte.
    „Wer hat was?“, entgegnete Harry irritiert. In Gedanken ertrank er gerade in einer riesigen Welle, die ihr Boot zum kentern gebracht hatte.
    „Wieso Sklaaten das Restaurant so genannt hat, will ich wissen.“
    „Äh, ach so, ja. Das hängt vermutlich mit der ursprünglichen Nutzung der Insel im 17. und 18. Jahrhundert zusammen. Damals - als es noch eine Insel war - wurden verurteilte Mörder, Diebe, Vergewaltiger, Piraten oder herumstreunende Bettler dorthin gebracht. Es waren zwei sehr chaotische Jahrhunderte für die Niederlande. Jede Menge Kriege mit und gegen England und  gegen Frankreich unter napoleonischer Herrschaft. Damals gab es wenig Zeit für lange Urteilsfindungen. Hier in Schouwen-Duiveland und den umliegenden Halbinseln hat man sich die Gesetzesbrecher gepackt, sie auf die Insel verfrachtet und ihnen dort, je nach Schwere ihres Vergehens, einzelne Gliedmaßen abgehackt. Mörder wurden teilweise geköpft oder mit abgetrennten Händen und Füßen dort zurück gelassen. Nach Vollstreckung des Urteils hat man die Verurteilten auf der Sandbank zurückgelassen. Wer es allein zurück ans Ufer schaffte war danach frei. Die anderen…“ Harry räusperte sich. Innerlich schüttelte es ihn andauernd, wenn er über die Grausamkeit dieser Zeiten nachdachte.
    „Die anderen blieben zurück, verhungerten, verdursteten oder ertranken. Und da das regelmäßig geschah, bildete die Sandbank eine immer reich gedeckte Tafel für Aasfresser. Und was sind die bekanntesten Aasfresser in dieser Gegend?“
    Sem zuckte mit den Schultern.
    „Weiß ich doch nicht.“
    „Möwen. Möwen sind fliegende Allesfresser und damals waren sie gleichzeitig das Reinigungskommando für die Insel der Verurteilten . Seitdem hat es dort immer Möwen gegeben, die haben sich auch nicht durch den Bau des Restaurants vertreiben lassen. Ari war von der Geschichte und den Tieren fasziniert, deshalb nannte er das Restaurant so, so erzählt man es sich hier zumindest.“
    „Klingt ziemlich makaber.“
    „Das ist es.“
    „Und woher weißt du das alles?“
    Harry schaut Sem sehr eindringlich an. Die Frage trug - für sein Empfinden - etwas Beleidigendes in sich.
    „Herrjeh“, seufzte er, „ich hatte lange genug Zeit, um mich zu informieren. Hast du es schon vergessen? Zehn Jahre habe ich mich mit Sklaaten beschäftigt und allem, was um ihn herum wichtig ist und war. Das ist mehr als genug, um alles darüber herauszufinden. Du musst wissen: Ich habe eine Menge Gespräche geführt und einiges zu hören bekommen. Die Bewohner hier haben Ari immer sehr skeptisch betrachtet. Er war wie ein Paradiesvogel, der nicht richtig hierher passte, aber er war höflich und sehr neugierig. Die Leute mochten nicht gerne mit ihm reden, aber wenn sie es doch taten, dann erzählten sie ihm alles, was sie wussten. Vermutlich in der Hoffnung, dass er die Idee mit dem Restaurant verwarf. Sogar einige Schauermärchen haben sie ihm aufgetischt, über verfluchte Seelen und tote Möwen, die nachts lebendig werden, um Menschen die Augen auszuhacken, und noch so allerleih anderes Seemannsgarn.“
    Harry schüttelte den Kopf und grinste. Vor seinem inneren Auge erschien das Bild der alten Inga Heemstede , die nur einige hundert Meter weiter einen kleinen Blumen- und Souvenirladen betrieb. Sie hatte Harry die kuriosesten Geschichten über den Spuk auf der Sandbank und in Sklaatens Restaurant erzählt. Eindringlich, in einem ungemein verschwörerischen Tonfall - mit weit aufgerissenen grünen Augen im faltenzerfurchten Gesicht und zerzausten, grauen Haaren auf dem Kopf - hatte sie wild gestikulierend ihr Wissen an Harry weitergegeben und über ihre Gespräche mit Ari Sklaaten erzählt.
    Die gute alte Inga .
    „Na ja, Sklaaten hat sich letztendlich nicht abbringen lassen. Genauso wie du dich vermutlich auch nicht überreden lassen wirst, deine Schnapsidee zu vergessen.“
    Sem stutzte. Den Satz hatte er offensichtlich nicht erwartet, fing sich jedoch schnell wieder und hob mahnend den Zeigefinger.
    „Vorsicht, Harry. Nicht frech werden. Hast wohl wieder vergessen, wer hier das Sagen hat. Ich weiß, was ich tue. Heute Abend ist der richtige Zeitpunkt. In zwei Stunden brechen wir auf. Das bisschen Wind und Regen hält uns nicht auf.“
    Es war zwecklos dem noch etwas entgegenzusetzen. Also schwieg Harry und starrte erneut zur Uhr. 
    8 Uhr 35.
    Es war kaum Zeit vergangen.

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