Das mohnrote Meer - Roman
eines Tages geriet Paulette in einen heftigen Monsunschauer. Sie wurde krank – entweder weil sie bis auf die Haut nass geworden war oder aber wegen ihres Gemütszustandes. Im Boot konnte Jodu sie nicht pflegen, und so brachte er sie zu einer Familie, die ihren Vater gut gekannt hatte. Sie waren lange Zeit Malis im Botanischen Garten gewesen und hatten Mr. Lamberts Großzügigkeit viel zu verdanken. Bei ihnen würde Paulette in Sicherheit und gut versorgt sein.
Die Familie lebte in Dakshineshvar, einem Dorf etwas nördlich von Kalkutta, und als sie dort eintrafen, wurde Paulette so herzlich aufgenommen, dass Jodus letzte Bedenken schwanden. »Ruh dich aus«, sagte er zu ihr, als er ging, »erhol dich. In zwei, drei Monaten komme ich wieder, und dann sehen wir, was zu tun ist.« Sie antwortete mit einem matten Nicken, und sie beließen es dabei.
Jodu ruderte nach Kalkutta zurück in der Hoffnung, mit seinem Boot schnell Geld zu verdienen. Das sollte ihm jedoch nicht gelingen, denn die letzten Regengüsse waren die heftigsten dieses Monsuns, und das Boot musste fast die ganze Zeit an den Ghats vertäut liegen. Doch als es endlich aufhörte zu regnen, war die Luft klarer und frischer denn je, und der kräftige
Wind duftete nach Erneuerung. Nach der Monsunzeit, in der alles langsamer verlief, nahm der Verkehr auf Flüssen und Straßen nun rasch zu: Die Bauern beeilten sich, ihre frisch geernteten Früchte auf den Markt zu bringen, und die Leute schwärmten in die Basare aus, um für Durgapuja, Dashahra und Id neue Kleider zu kaufen.
An einem solchen Abend beförderte Jodu mit seinem Boot Fahrgäste, und als er flussabwärts schaute, erblickte er die Ibis , die aus dem Trockendock zurück war. Sie war zwischen zwei Bojen vertäut und schien mit ihren kahlen Masten die Jahreszeit zu verkörpern: geschrubbt und aufgefrischt, mit einem neuen Kupferbeschlag entlang der Wasserlinie, die Masten blitzblank und hoch aufragend. Der Rauch, der sich aus dem Kombüsenschornstein kräuselte, sagte Jodu, dass von den Laskaren viele bereits an Bord sein mussten. Diesmal verschwendete er keine Zeit damit, um den Fahrpreis zu feilschen und die Geizkragen zu verspotten, sondern sah zu, dass er seine Fahrgäste so schnell wie möglich loswurde, um dann mit voller Kraft zu dem Schoner hinüberzurudern.
Und da waren sie, die vertrauten Gesichter: Cassem-meah, Cader, Raju, Steward Pinto und die beiden Tindals Bablu und Mamdu. Sie saßen müßig am Deckshaus, und selbst Serang Ali taute so weit auf, dass er Jodu lächelnd zunickte. Nach allerhand freundschaftlichen Klapsen und Knüffen in die Magengrube wurde viel über Jodus Boot gelacht: »Ist das Dach aus alten Besen gemacht? Ist das ein Ruder oder ein Fächer?« Niemand, so erfuhr Jodu, hatte erwartet, dass er zurückkommen würde, man hatte geglaubt, er werde bei den Flussratten bleiben – dass ein dandi-vālā ohne eine Stange im Heck nicht glücklich werden könne, sei ja schließlich allgemein bekannt.
»Und die Malums? Der Kapitän? Wo sind sie?«
»Noch nicht an Bord«, sagte Raju.
Jodu strahlte vor Freude, denn das bedeutete, dass die Laskaren den Schoner im Moment für sich allein hatten. »Komm«, sagte er zu Raju, »schauen wir uns das Schiff an, solange es noch geht.«
Als Erstes gingen sie zu den Offiziersräumen, den hinteren Kajüten direkt unterhalb des Achterdecks. Sie wussten, dass sie wohl nie wieder einen Fuß hierher setzen würden, und waren entschlossen, sich nichts entgehen zu lassen. Auf dem Weg dorthin mussten sie einen von zwei Niedergängen hinunter, die unter dem Überhang des Achterdecks lagen. Der Eingang an Backbord führte zu den Kajüten der Offiziere, der andere zur angrenzenden Mittschiffskajüte. Über den Backbordniedergang gelangte man in die Messe, in der die Offiziere ihre Mahlzeiten einnahmen. Jodu staunte, wie sorgfältig hier alles gearbeitet, wie für jede Eventualität vorgesorgt war. Die Tischplatte hatte sogar einen erhöhten Rand und mehrere mit kleinen Geländern umzäunte Abteilungen, damit bei stärkerem Seegang nichts ins Rutschen kam. Die eher einfachen Kajüten der Steuermänner lagen links und rechts der Messe und waren so klein, dass man sich kaum darin umdrehen konnte, die Betten zu kurz, um darin bequem die Beine auszustrecken.
Die Kapitänskajüte lag am weitesten achtern, und nichts daran enttäuschte auch nur im Geringsten. Sie reichte von Bord zu Bord, und mit dem blank polierten Holz und Messing erschien sie Jodu so
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